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Otelfingen, Hauptmes Haus vom Meierhof des Klosters St. Blasien

3. Der Hof des Meiers alias Hauptmes Haus und seine Bewohner

9. Hauptmes Haus, Wohnteil von Süden
Das im sanblasianischen Urbar von 1790 unter "Meierhof" an erster Stelle aufgeführte Haus von Seckelmeister Rudolf Schlatter wird heute allgemein "Hauptmes Haus" genannt; wobei das Attribut Hauptmann wohl ebenfalls auf Seckelmeister Schlatter zurückgeht. Es handelt sich um ein voluminöses Vielzweckbauernhaus mit Wohnhaus, Scheune und Stall unter einem Dach, wie in Otelfingen mehrfach anzutreffen Thisis Hof. Trotz Erneuerung des Oekonomieteils im ausgehenden 19.Jh. ist das ursprüngliche Erscheinungsbild weitgehend erhalten. Der alte Wohnhausteil geht vermutlich auf das Jahr 1691 zurück; Hauptmes Haus wäre damit das älteste der noch erhaltenen Häuser des Meierhofs von St. Blasien und möglicherweise das Haus des Meiers selbst . (Abb.9) Letzteres lässt das verbriefte Wegrecht von 1680 vermuten, gemäss dem "der Meyerhoff hat ein Kilchweg zu syner hindern Thüren uss, den nechsten Weg in die Kirchen. Noch heute führt ein "Meiergässli" zwischen den beiden oberhalb Hauptmes Haus liegenden alten Höfen zur Kirche. Wie der Name nahelegt, könnte es ganz oder teilweise dem alten Kirchweg entsprechen.

Interessanterweise befinden sich zahlreiche Dokumente über das Haus und seine Bewohner im 19. Jahrhundert im Familienarchiv der heutigen Besitzer und beleuchten die damaligen Lebensmuster und -umstände.

10. Fenster der Nordseite
1801 besass Seckelmeister Hs Rudolf Schlatters ältester Sohn Johannes (*1758) das Anwesen. 1813 gehörte es, samt Scheune, Trotte und gewölbtem Keller, je zur Hälfte Johanns Schlatter sel. [Erben] und Hans Schlatter (*1767), wohl dem jüngeren Bruder von Johannes; letzterer war 1816 Alleinbesitzer. 1842 umfasste sein Besitz ein Wohnhaus, zwei gewölbte Keller, 1 Scheune, Stallung und Schopf, ein Trotthaus und Trottwerk und einen Schweinestallanbau. Der zum Haus gehörige Landbesitz wurde, wie zahlreiche Kaufbriefe belegen, im ganzen 19. Jahrhundert erweitert, zumeist an öffentlichen Ganten.

1844 wurde, noch zu Lebzeiten des mittlerweile betagen Hans Schlatter, ein Inventar über dessen "Gütergewerb und Fahrhabe" erstellt. Es ist ein sehr detailliertes Dokument, das nicht nur die Liegenschaften aufzählt und bewertet, sondern auch den beweglichen Besitz, von den Tieren im Stall über das Mobiliar bis zu Gebrauchsgegenständen wie etwa ein "Geldsäckel um den Leib" oder zwei "Branntwein-Guttere". Obwohl es sich nicht eben um einen armen Haushalt gehandelt haben dürfte, ist aus dem Inventar herauszulesen, dass kaum überflüssiger Hausrat vorhanden war. Zur Möblierung der Stube etwa reichte ein Tisch mit Stabellen und Stubenuhr aus, in den Kammern gab es ausser dem Bett einen oder zwei Kasten und manchmal noch eine Truhe oder ein Tischli.

Das Inventar war wohl die Grundlage für den sog. Leibdingsvertrag vom 26. August 1847, mit dem Hans Schlatter seinen Söhnen Hans Jacob, Heinrich und Hans seinen Besitz mit Rechten und Pflichten übergab. Es war aber auch die Basis für die Auszahlung der vier Töchter, die gleichentags in einem separaten Vertrag geregelt wurde. Wie allgemein üblich, erhielten diese keinen Anteil am Landbesitz, sondern wurden in Geld für ihre Erbrechte daran entschädigt. Die Söhne hinwiederum verpflichteten sich, ihrem Vater eine jährliche Rente von 300 Gulden zu zahlen und ihm lebenslängliches Wohnrecht im elterlichen Haus zu gewähren. Die erste Rentenzahlung war bereits im Mai 1844 fällig, also unmittelbar nach der Erstellung des Inventars.

11. Zugang zum alten Keller
1851 liess Heinrich Schlatter, der unverheiratet war, ein Testament zugunsten seiner Brüder beglaubigen. 1854 verzichtete er auf sein Miteigentumsrecht und erhielt im Gegenzug das Recht, während Lebenszeit eine Kammer für sich allein zu benutzen, die übrigen Räume gemeinsam mit seinen Brüdern - ein weiteres Beispiel für die damalige Organisation der Altersvorsorge in bäuerlichen Haushalten. Heinrich lebte bis 1874; seine Brüder liessen ihm ein marmornes Grabkreuz mit Blumenkranz und Goldlettern von Bildhauer Louis Wethli in Zürich erstellen.

Hans, kinderloser Witwer der Margaretha Schlatter, heiratete 1884 mit 75 Jahren die damals 49 jährige ebenfalls verwitwete Anna Glättli aus Oberurdorf. 1886 übernahm deren Tochter Barbara, die damals bereits mit Rudolf Schlatter aus einem andern Zweig der Familie verheiratet war, das Haus von den beiden betagten Brüdern. Hans wird 1891, sein Bruder Jacob 1892 als verstorben bezeichnet.

12. Detail der Rechung von 1894
Bucher-Manz, Niederweningen
1893 löste Rudolf Schlatter-Glättli seine Frau als Besitzer des Hauses ab. Wohl mit dem ihm zufallenden Mitteln aus den beiden Erbschaften begann er noch im gleichen Jahr mit einem massiven Umbau, indem er die an das Wohnhaus angebauten Nutzbauten abbrechen liess; nur das Trottwerk und die zwei gewölbten Keller blieben bestehen. (Abb.11) Die neuen Bauten, Scheune, Stall, Futtertenn, Wagenschopf/Werkstätte und Pressraum mit neuer Obstmühle (Abb. 12) waren 1893 noch unvollendet, während ein zusätzlicher Keller und der Laubenanbau mit Aborthäuschen und Schweinestall bereits standen. Zahlreiche Quittungen bezeugen die rege Bautätigkeit Rudolf Schlatters zwischen 1893 und 1895. Er kaufte die Baumaterialien vom Zement bis zu den Ziegeln selbst ein und zog für die Bauarbeiten die jeweiligen Handwerker bei, die zumeist im Taglohn bezahlt wurden. Ein koordinierender Baumeister ist nicht auszumachen. Die neuen Nutzbauten wurden dem alten Wohnhaus östlich angegliedert und mit diesem durch das darüber hinausgezogene grosse Satteldach verklammert. Die alte Struktur des langgestreckten Vielzweckbauernhauses wurde damit beibehalten. Die neue Ostwand zeigt im ersten Geschoss ein einfaches Riegelwerk, vielleicht in Anlehnung an die Süd-und Nordseite des Wohnhauses mit seinem kräftigen Fachwerk.

Das Haus ist giebelständig zur Hinterdorfstrasse. Seine Giebelwand gegen Westen ist massiv gemauert und heute verputzt; dahinter liegt der Wohnteil aus dem 17. Jahrhundert. Auf der Nordseite fallen die Fenster mit ihren profilierten Fensterbänken und ihre in gotischer Manier bemalten Volläden auf. Auf der Südseite folgt auf den Wohnteil der dem Oekonomieteil vorgelagerte erwähnte Laubenanbau aus Holz. Der südliche Eingang befindet sich leicht erhöht zwischen diesen beiden Hausteilen. Darunter liegt der alte gewölbte Keller mit Zugang durch eine im Freien vor der Haustür liegende, durch einen Gitterhag geschützte Kellertreppe.

13. Gartenzaun von J. Meyer, 1876
Der südseitige Garten ist mit eine Steingrottenanlage geschmückt, wie sie in Otelfingen im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert offenbar sehr beliebt war. Er wird begrenzt durch ein hübsches "Gartengeländer mit Lanzen", kunstvoll gefertigt 1876 durch Joh. Meyer, Mechaniker, in Otelfingen. (Abb.13)

1904 entstand der freistehene Holzschopf östlich des Hofes und 1906, nördlich vom Hof, das gemauerte Waschhaus und der Speicher.

Um die Mitte des 20. Jahrhunderts wurde das Haus leicht modernisiert. Insbesondere wurde ein Badezimmer eingebaut; das Aborthäuschen am Ende des Laubenganges und auch das darunterliegende ebenerdige verschwanden.

Die heutigen Besitzer, die das ganze Anwesen sorgfältig pflegen, renovierten 1974 das Wohnhaus und nutzten den Oekonomieteil des Hauses für ihre Bedürfnisse um; der Kuhstall wurde zur Garage, der Pferdestall zum Lager des Gewerbebetriebes. Die alte Werkstatt im östlichsten Teil wurde 1982 zum hübschen zusätzlichen Wohnhausteil umgebaut.

Im alten Waschhaus entstand ein kleines Büro, das nun vermietet wird und der freistehende, kleine Speicher etwas östlich von Hauptmes Haus wurde 1989 zum reizenden Einpersonen-Häuschen umgebaut [Fachwerkspeicher wird Miniaturhäuschen].

Erika Feier-Erni, 29.3.2004


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