Otelfingen, Reformierte Kirche

Von Erika Feier-Erni


1. Eine reichlich komplizierte Vorgeschichte

Die kirchlichen Verhältnisse vor der Reformation

Bis zur Reformation hatte Otelfingen weder einen eigenen Pfarrer, noch eine eigene Pfarrkirche, noch ein eigenes Pfarrhaus. Das Otelfinger Kirchenvolk war kirchengenössig nach Würenlos; es wurde seelsorgerisch vom dortigen Leutpriester betreut und hatte auch dort den sonntäglichen Gottesdienst zu besuchen.

Die Pfarrei Würenlos fand 1275 im „Liber decimationis“ des Bistums Konstanz eine erste schriftliche Erwähnung; der bedeutende Umfang des Kirchensprengels, zu dem auch Otelfingen gehörte, lässt aber vermuten, dass die Kirche Würenlos bereits sehr viel früher bestand und eine Eigenkirche war. Den Ort Würenlos ,„Wirchillozha“, gab es nachweislich schon 870.

1. St. Othmar, Kath. Pfarrhaus Würenlos
In Otelfingen stand mit Sicherheit schon am 30. März 1289 eine Kapelle, die damals „seit alters her“ im Besitze des Klosters Trub im Emmental war und deren Patronatsrecht zusammen mit andern Gütern an diesem Datum an das Kloster Wettingen verkauft wurde. Diese frühe Kapelle, nach Überlieferung dem heiligen Othmar geweiht, dürfte hauptsächlich der privaten Andacht und kleineren kirchlichen Anlässen gedient haben. 1421 wurde das Kloster Wettingen ebenfalls durch Kauf auch Patronatsherrin von Kirche und Kirchensatz Würenlos. Das Kollaturrecht, das Recht, den Priester einzusetzen, aber auch die Pflicht, für seinen Unterhalt und den der Kirche und des Pfarrhauses aufzukommen, lag somit in den Händen des Klosters Wettingen. Dafür flossen alle kirchlichen Einnahmen aus Würenlos und dessen Filiale Otelfingen, d.h. die Einnahmen aus Jahrzeiten und anderen kirchlichen Leistungen sowie der Zehnten aus Liegenschaftsbesitz in das Kloster.
Entsprechend diesen rechtlichen Voraussetzungen finanzierte das Kloster Wettingen 1515 den Otelfingern den Neubau ihrer Kapelle, die am 19. Mai 1519 geweiht wurde. Zur Bauzeit und wohl für die neue Kapelle entstanden sein dürfte das spätgotische, sehr qualitätvolle hölzerne Standbild des hl.Othmars, das sich heute im katholischen Pfarramt von Würenlos befindet.

Die kirchlichen Verhältnisse während und nach der Reformation

Diese vergleichsweise klaren Verhältnisse wurden durch die Reformation sehr viel komplizierter. Mit den beiden vom Zürcher Rat im Januar und Oktober 1523 veranstalteten Disputationen über die Differenzen zwischen der Lehrmeinung Zwinglis und der traditionellen katholischen Lehre setzte sich Zwinglis Glaubenserneuerung in der Stadt Zürich durch. An Pfingsten 1524 waren die Gemeinden der Zürcher Landschaft zur Stellungnahme aufgerufen und entschieden sich ebenfalls für den neuen Glauben.

Da das in der katholischen Grafschaft Baden liegende Würenlos derzeit katholisch blieb, war hier Zürichs „ius reformandi“ nicht gültig, d.h. den reformierten Otelfingern blieb nichts anderes übrig als entweder weiterhin den katholischen Gottesdienst in Würenlos zu besuchen, zu dessen Kosten sie nach wie vor mit ihren Abgaben beitrugen, oder auf zusätzliche eigene Kosten einen Prädikanten, einen evangelischen Prediger, anzustellen.

Beides passte den Otelfingern nicht und so baten sie die Regierung in Zürich um Löslösung aus dem Kirchensatz Würenlos und Erhebung zur eigenständigen Pfarrei. Die Obrigkeit entsprach diesem Wunsch und hiess die Gemeinde aus dem eigentlich dem Leutpriester von Würenlos zustehenden Neugrützehnten auf ihrem Gebiet ein Pfrundgut für ihren Prädikanten zu schaffen, wogegen der Landvogt von Baden am 13.Juni 1528 namens des katholischen Geistlichen unverzüglich intervenierte.

Der Zürcher Rat aber bestätigte und präzisierte am 2. Juli 1528 seinen früheren Entscheid dahingehend, dass „Jahrzeiten und anderes Einkommen des Priesters von Würenlos, soweit es von Otelfingen herrührte, dem Prädikanten daselbst zukommen und dass die Gemeinde den Neugrützehnten mit Haft und Verbot belegen sollte“.

2. Kirche von Norden, 2005
Die Situation entspannte sich, als im August 1529 Georg Müller, damaliger Abt des Klosters Wettingen, zusammen mit der Mehrzahl seiner Mönche den reformierten Glauben annahm und in den klösterlichen Kollaturkirchen, also auch in Würenlos, reformierte Prädikanten einzusetzen versprach. In Würenlos war das der dortige vormalige Leutpriester Marx Brunner, der anlässlich der Badener Disputation 1526 für Beibehaltung des alten Glaubens votiert hatte, dann aber mit seiner Gemeinde dem Beispiel des Klosters folgte und am 23. August 1529 ebenfalls zur neuen Lehre überrat. Vorausgreifend waren bereits am 18. August 1529 in der Kirche Würenlos alle „Altäre, Ceremonien und Bilder abgethonn“.

Die seit wenigen Monaten bestehende unabhängige evangelische Pfarrei in Otelfingen wurde trotz dortiger Opposition mit der Pfarrei Würenlos vereinigt und vom neuen alten Pfarrer Marx Brunner betreut; der Gottesdienst fand auch für die Otelfinger wieder in der Kirche Würenlos statt.

Nach Zürichs Niederlage im zweiten Kappeler Krieg 1531 wurde die Grafschaft Baden wieder katholisch, ebenso das Kloster, das vorerst während des Aufbaus eines neuen Konventes unter der Verwaltung der katholischen fünf Orte stand. Die Beziehungen der reformierten Otelfinger zu ihren katholischen Nachbarn gestaltete sich wegen Reibereien zwischen den beiden Konfessionsgruppen zunehmend schwierig. So verlangten an der Kirchensynode vom 19. April 1531 der Vogt zu Regensberg und zwei Otelfinger Bürger, bei „irer Capell z’bliben“,da nicht nur Ungewitter den Kirchgang nach Würenlos erschwere, sondern auch die Tatsache, dass sie „muesstind in Baderbiet, die sind jetzt als Fyend“.

Nach dem Sieg der Katholiken gab es eine konfessionelle Parität nur in den gemeinen Herrschaften, also auch im Aargau. Die Gemeinde Würenlos blieb ebenfalls pariätisch. Doch obwohl die Evangelischen hier in der eindeutigen Mehrheit waren, war gemäss dem zweiten Landfrieden nur der Schutz der katholischen Minderheit gewährleistet.

3. Kirche von Südwesten, 2005
Heinrich Schönbrunner, Landvogt der Grafschaft Baden und katholischer Hardliner, heizte die ohnehin schon gereizte Stimmung an, indem er 1531 von den Würenloser Reformierten unter Strafandrohung die Einhaltung aller katholischen Feiertage verlangte. Hiergegen und auch gegen die Plünderungen des Fislisbacher Pfarrhauses durch die Leute des Zuger Landvogtes legte das geschlagene Zürich prompt aber wirkungslos Protest ein, besonders da die Zuger auch den Prädikanten von Würenlos und weitere biedere Leute bedroht und von dem „jhrenn zewichenn abgeschregkt“ hatten. 1532 wurde auf Antrag einiger Würenloser Katholiken in ihrer von beiden Konfessionen genutzten Kirche wieder ein katholischer Altar aufgerichtet, was die Leute von Otelfingen und Boppelsen als Schikane betrachteten, weshalb sie nicht mehr dorthin zur Kirche gehen wollten. Der Versuch Zürichs, eine gütliche Vereinbarung mit dem Landvogt zu Baden und dem Schaffner des Klosters Wettingen betreffend eine Teilung der Kirchengüter zu erzielen war ebenso erfolglos wie ein entsprechendes Gesuch bei den katholischen fünf Orten. Vielmehr wurde am 15. November der Prädikant in Würenlos „stillgestellt“ und trotz Bitten vonseiten Zürichs nicht wieder zu seinem Amte zugelassen.

Immerhin erlaubte Landvogt Schönbrunner als Vertreter des Klosters Wettingen resp. dessen Kollaturrechts am 12. Februar 1533 die Entsendung eines anderen Prädikanten nach Würenlos. Den Wunsch Zürichs nach Wiedereinsetzung Brunners lehnte er jedoch ab. Mit seiner Bewilligung setzte Zürich am 22. Februar Pfarrer Jakob Stöckli in Würenlos ein. Die Bitte, den neuen Prädikanten ungehindert predigen und ihn mit einem gebührenden Einkommen aus dem Pfrundgut versehen zu lassen, blieb ungehört, denn schon im März klagte Jakob Stöckli, dass er von niemandem etwas bekomme und „an Nahrung Mangel leide“. Die Zürcher Regierung wurde daraufhin erneut beim Landvogt in Baden vorstellig, damit er sich beim Kloster um ein Einkommen für den reformierten Pfarrer in Würenlos verwende, da gemäss dem Landfrieden das Pfrundgut zwischen den Geistlichen nach Anzahl der Gläubigen geteilt werden müsste. Zudem verlangte Zürich am 12. März 1533, dass dem ehemaligen Prädikanten Brunner der Betrag von 80 Gulden, der ihm gemäss Vertrag vom Kloster zustand, ausbezahlt werden sollte.

Landvogt Heinrich Schönbrunner reagierte noch gleichentags mit dem Vorwurf, die Leute von Otelfingen und Boppelsen hätten den katholischen Priester in Würenlos zu entführen gedroht und verlangte deren Bestrafung. Postwendend spielte die Züricher Regierung am 13. März 1533 dies als bloss verbalen Ausrutscher der Angeschuldigten herunter. Sie hätten sich vom Gerücht, Schönbrunner wolle ihren Prädikanten in Würenlos verhaften und vertreiben lassen, provoziert gefühlt: „wenn Du ihren Prädicanten fiengest, so möchtend si doch wol den Messfpaffen ouch einmal reichen.“

Als diese Auseinandersetzung weiter zu eskalieren drohte, floh Prädikant Stöckli am 12. April 1533 nach nur siebenwöchiger Amtstätigkeit von Würenlos nach Otelfingen.

An der Kirchensynode vom 6.Mai 1533 kam die Lage von Otelfingen zur Sprache, weil dessen Einwohner nicht mehr nach Würenlos zur Kirche gehen wollten, „da aber jetzund die Mess und päpstische Art überhand genommen habe“. Im weiteren „habind si ein klein Gütli, wöllind si gern stüren, das min Herren inen beholfen syend, damit ein evangelischer Prädicant bi inen möge belyben“.

4. Inneres gegen Chor, 2005
So blieb Pfarrer Stöckli nun in Otelfingen. Ausser dem „klein Gütli“ erhielt er aber offenbar keine Zuwendung, denn bereits im Herbst beschwerte er sich, dass er nicht in Otelfingen bleiben könne, weil er dort nichts zum Leben habe. Zürich entschied daraufhin, dass er abwechselnd acht Tage in Otelfingen und acht Tage in Würenlos predigen solle und wurde erneut beim Landvogt von Baden vorstellig, damit dieser dem Pfarrer ein gebührendes Einkommen aus den Kircheneinnahmen von Würenlos zugestehe. Dreimal kam die Angelegenheit vor die Tagsatzung bis sich die Versammlung am 10. März 1534 endlich entschied, dass der Landvogt die Otelfinger und Boppelser zählen und ihnen ihren Anteil verabfolgen solle“, das heisst, dass sie also einen zur Bevölkerung proportionalen Anteil am Pfrundeinkommen der Pfarrei Würenlos, das auf 48 Stuck geschätzt wurde, erhalten sollten. Dem Otelfinger Pfarrer wies man 22 Mütt Kernen, 3 Malter Hafer, 3 Saum Wein und 1 Gulden 16 Batzen zu, während der katholische Priester das Würenloser Pfrundhaus mit dem Pfarrhof, etwas Wiese sowie 9 Mütt Kernen, 1 Malter Hafer, 3 Saum Wein und 1 Pfund Geld erhielt.

Damit war die Trennung der Otelfinger und Boppelser Kirchgenossen von Würenlos auch finanziell vollzogen und die Pfarrei Otelfingen erhielt die jährliche Grundbesoldung ihres Pfarrers inskünftig vom Kloster Wettingen direkt. Die reformierte Pfarrei Otelfingen war damit definitiv unabhängig geworden; noch nicht vollzogen war offenbar die Erhebung der Otelfinger Kapelle zur Pfarrkirche. Die Kollatur der reformierten Pfarrei verblieb bis 1838 beim katholischen Kloster Wettingen, das somit weiterhin das Recht hatte, den Otelfinger Pfarrer zu wählen, diesen aber auch entlöhnen musste.

Die Aufteilung des Pfrundgutes betraf allerdings nur die beiden Nachbargemeinden Otelfingen und Boppelsen. Die Evangelischen von Würenlos, Kempfhof, Hüttikon, Oetlikon und Oetwil blieben, obwohl auch vom Otelfinger Pfarrer betreut, weiterhin nach Würenlos kirchengenössig. Ihre Abgaben flossen somit weiter ins dortige Pfrundgut, aus dem sowohl die Aufwendungen für den katholischen Leutpriester in Würenlos wie den reformierten Pfarrer in Otelfingen gedeckt wurden; die Diskussion um gerechte Zuteilung des Pfrundgutes blieb somit weiterhin ein Dauerthema.

5. Inneres gegen Empore, 2005
Um die mit der Kollatur verbundene Zahlungspflicht ging es auch 1554, nach anderen Quellen 1555, als die Kirchgenossen von Otelfingen das Kloster Wettingen baten, die nötigen Reparaturen an Dach und Fenstern im Chor der Kapelle von Otelfingen vornehmen zu lassen und zu finanzieren. Sie stützten ihre Forderung auf den Umstand, dass das Kloster auch 40 Jahre früher Chor, Fenster und andere zugehörige Dinge habe bauen lassen. Allerdings zeigte das Kloster wenig Neigung, dem mittlerweile protestantischen Otelfingen entgegenzukommen. Abt Petronius erklärte sich zwar zuständig für den baulichen Unterhalt des Chors der Kirche von Würenlos, wohin die Otelfinger „gehörig seien“. Weil aber in Otelfingen nur eine Kapelle und keine Pfarrkirche sei, lehnte er in Berufung auf ähnliche Verhältnisse anderer Kollaturen im Kanton Zürich und der Grafschaft Baden eine Beitragspflicht des Klosters ab. Schliesslich hatte der Landvogt von Baden in dieser Sache zu entscheiden. Er unterstützte die Position von Wettingen und hielt ausdrücklich fest, dass die Otelfinger inskünftig für ihre Kapelle selbst aufzukommen hatten. Die 10 Gulden, die das Kloster Wettingen dann doch an die Reparatur stiftete, bezeichnete er ausdrücklich als einmaliges Geschenk.

In der Tat hielt auch eine Quelle aus dem 19. Jahrhundert fest, dass „die Gemeinde Otelfingen mit Einschluss von Boppelsen 1553 durch Erbauung einer eigenen Kirche statt der bisherigen Kapelle und eines Pfarrhauses zur besonderen Pfarrei wurde“. Erst diese Kirche hat wohl den Status einer Pfarrkirche erhalten haben. Bemerkenswerterweise wurden 1946 Fundamentsreste dieser Kirche von 1554/55 wie auch der vorherigen Kapelle von 1515 unter dem Langhausboden der heutigen Kirche gefunden; aus ihnen lassen sich einige Erkenntnisse über diese Vorgängerbauten gewinnen.


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