4. Haus zur Brauerei – wirklich seit 1811 ein Gasthaus?

In Otelfingen gab es mit grosser Wahrscheinlichkeit vor der Helvetik keine behördlich registrierte Taverne, also kein Gasthaus. Da aber Klosterbesitz im Mittelalter eigenem Recht unterstand, konnten auch die Klöster Tavernenrecht vergeben. So hatte in Otelfingen der Lehenshof Ueli Heinis Höfli des Klosters Wettingen spätestens seit 1576 das Tavernenrecht, durfte also neben Weinausschank auch warme Speisen und Beherbergung von Mensch und Pferd anbieten. Das Tavernenrecht war an das Haus gebunden und implizierte neben dem Recht auf einen Tavernennamen und ein Wirtshausschild auch Preisvorschriften, Kontrollen, Regelungen der Öffnungszeiten und der Abgaben. Wie lange in Ueli Heinis Höfli das Tavernenrecht auch tatsächlich ausgeübt wurde, ist unbekannt. Ob auch andere Klöster mit Otelfinger Grundbesitz hier eine Taverne besassen, ist noch nicht ausreichend untersucht; insbesondere noch offen ist die Frage betreffend der sog. Herrenstube.

12.Landstrasse 19, ehem. Weinschenke des Heinrich Pfister und Johannes Gross, 2008
Neben den Tavernen gab es in Zürich und der Zürcher Landschaft auch Weinschenken, die in der Rangordnung unter den Tavernen standen. Hier durfte zwar Wein verkauft werden, hingegen keine warmen Speisen, auch Beherbergungsdienstleistungen durften nicht erbracht werden. Dafür mussten sie über keine besonderen Räume verfügen. Als Wirtsstube diente zumeist die Wohnstube oder die Küche des Schankwirts, der die Schenke in der Regel als Nebenerwerb meist zur Landwirtschaft betrieb. Es ist anzunehmen, dass es auch in Otelfingen Weinschenken gab, da hier praktisch jedermann über eigene Reben verfügte; so soll Heinrich Pfister in seinem um 1770 im Unterdorf erbauten Haus bereits im ausgehenden 18. Jahrhundert eine Weinschenke betrieben haben.

Die Aufteilung der Gasthäuser in Tavernen und Weinschenken blieb auch im 19. Jahrhundert grundsätzlich bestehen, wenn auch die beiden Kategorien zunehmend angeglichen wurden. Seit 1804 wurde im Kanton Zürich ein Wirtschaftsverzeichnis geführt, in der die Tavernen und Weinschenken und ihre Abgaben separat registriert sind. Die Tavernen wurden unter ihrem Namen eingetragen, die Weinschenken unter der Hausnummer. Danach verfügte Otelfingen auch 1804 über keine Taverne und nur über eine einzige Weinschenke. Es war die des Heinrich Pfister unten im Dorf, an der ehemaligen Hubgasse, der heutigen Landstrasse 19. Pfister wurde 1806 von seinem Schwiegersohn Johannes Gross abgelöst, der in der Folge bis 1834 als Wirt tätig war.

13. Hof mit dem Namen «Neuhaus, 1811-1843 Weinschenke des Hans Rudolf Bopp, abgebrannt 1993.
Hans Rudolf Bopp, der Erbauer des Hauses zur Brauerei, dürfte sich also gute Chancen für den Erfolg eines zweiten Lokals oben im Dorf ausgerechnet haben; er eröffnete 1811, im Jahr des Neubaus des Hauses zur Brauerei, eine zweite Weinschenke. Mit einiger Überraschung ist den Quellen zu entnehmen, dass er diese Schenke nicht im Neubau, sondern im Haus mit der alten Assekuranznummer 34a schräg vis-à-vis ansiedelte, das, wie bereits dargelegt, schon im 18. Jahrhundert «Neuhaus» geheissen hatte. Es war das Haus, das Hans Rudolf Bopp, der selbst im Sterberegister als «Neuhäusler» bezeichnet wurde, von seinem Vater geerbt, bis zu seinem Tode bewohnt und in dem seine Witwe lebenslängliches Wohnrecht hatte.

Bis 1834 blieben die beiden Schankwirte Hans Rudolf Bopp und Johannes Gross in Otelfingen ohne weitere Konkurrenz. Im anschliessenden Jahrzehnt versuchten sich weitere Otelfinger mit unterschiedlichem Beharrungsvermögen im Führen einer Weinschenke. Da Weinschenken keine besonderen Investitionen erforderten und ihre Patente bis 1834 alle drei Jahre, danach alle Jahre erneuert werden mussten, war der schnelle Wechsel nicht aussergewöhnlich und eine Folge der neuen Gewerbefreiheit. 1834 trat ein neues Gesetz betreffend Weinschenk- und Speisepatente in Kraft, welches gegen entsprechende Abgaben den Weinschenken die Verköstigung der Gäste mit warmen Speisen erlaubte; dadurch wurden die Weinschenken gegenüber den Tavernen aufgewertet. In Otelfingen nutzte 1840 erstmals Jakob Surber diese Möglichkeit und führte fortan eine Weinschenke mit warmer Küche; Hans Rudolf Bopp im Neuhaus blieb bei seiner reinen Weinschenke.

14. Hinterdorfstr. 21, ehem. Weinschenke des Jakob Surber
Nach diesen Erkenntnissen und entgegen den bisherigen Annahmen wurde das Haus zur Brauerei in seinen Anfängen also nicht als Gasthaus genutzt. Besitzer blieb aber zeitlebens Hans Rudolf Bopp, der Schankwirt vom Neuhaus gegenüber.

Die Frage, weshalb er das Haus zur Brauerei baute, wenn er nicht selber darin wohnen wollte, bleibt offen. Denkbar wäre, dass er es seiner Schwester Anna Barbara und ihrem Mann Friedrich Salomon I Schibli als Teil einer Regelung der väterlichen Hinterlassenschaft zur Verfügung stellte, denn interessanterweise ging das Haus nach seinem Tod nicht an seinen eigenen Sohn Heinrich über, der auf dem Neuhaus blieb, sondern an seinen Neffen, Rudolf Schibli, den Sohn seiner Schwester.


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