Otelfingen, Jelmoli Lager- und Bürohaus

Von Erika Feier-Erni


1. Ortsplanerische Voraussetzungen

Einbruch der Moderne ins ländliche Otelfingen

1. Perspektivskizze von Roland Rohn, 27.9.1963
Am 27. September 1963 vollendete der bekannte Züricher Architekt Roland Rohn die Perspektivskizze eines Lager- und Bürohauses, welches die Firma Grands Magasins Jelmoli SA in Otelfingen zu bauen vorhatte. Sie zeigt inmitten einer noch freien Landschaft einen breithingestreckten und grossflächigen Rechteckbau von geringer Höhe mit einem aufgesetzten Hochhaus als Kontrapunkt; im Hintergrund sind die Tanklager und die Richtung Dorf führende Landstrasse und der Hügelzug der Lägeren erkennbar. Verglichen sowohl mit den Dimensionen jedes anderen damaligen Gebäudes des Dorfes, Kirche inklusive, wie auch mit ihren Bauformen war Rohns Gebäude ein architektonischer Paukenschlag.

Noch 1960 war Otelfingen ein kleines Dorf mit 876 Einwohnern. Es gab nur eine grössere Fabrik mit ca. 200 Mitarbeitern, aber 60 Landwirtschaftsbetriebe, wovon 44 hauptberufliche. Entsprechend dominierten noch ganz die für das Unterland typischen bäuerlichen Vielzweckhäuser das Dorfbild. Otelfingens Siedlungsstruktur hatte sich seit dem 19. Jahrhundert kaum verändert und erst vergleichsweise wenige Häuser waren ausserhalb der alten Dorfgrenze entstanden.

Interessant ist deshalb nicht nur das Jelmoliprojekt selbst, sondern auch die überraschende Bereitschaft der damaligen Behörden und Bewohner des kleinen Dorfes, ein solches Mammutprojekt ohne nennenswerte Opposition zuzulassen.

Wegbereitend dafür dürfte auf der einen Seite das Beispiel der Nachbargemeinden gewesen sein, die dank dem Zuzug neuer Industriebetriebe einen wirtschaftlichen Aufschwung erlebten. Auf der anderen Seite hatte zweifellos das «Studienprojekt Neue Stadt Otelfingen» dazu beigetragen, die ländliche Bevölkerung mit der auf die Massengesellschaft ausgerichteten Städteplanung und die dafür konzipierte Architektur vertraut zu machen.

Das Projekt Neue Stadt Otelfingen

1955 hatten Max Frisch, Lucius Burckhardt und Markus Kutter in einer vielbeachteten Schrift «achtung: die Schweiz» die Idee formuliert, statt einer Landesausstellung - die Expo 64 - eine Musterstadt gemäss den neuesten städtebaulichen Erkenntnissen zu bauen, als Zeichen des Aufbruchs der Schweiz in die Moderne und gleichzeitig als Massnahme gegen die insbesondere in Zürich grassierende Wohnungsnot und die von da ausufernde Zersiedelung der Landschaft. Während der Expo-Bezug bald einmal in den Hintergrund trat, nahm eine Studiengruppe unter ETH-Dozent Ernst Egli und Ernst Winkler von der Landesplanung die Idee auf, allgemeingültige Grundlagen für den Bau einer neuen Schweizer Stadt oder allgemeiner für neue Siedlungszentren zu erarbeiten.

Nach eingehenden soziologischen, geografischen und siedlungspolitischen Grundlagenstudien, in welchen die Bedürfnisse der Industriegesellschaft und ihre Anforderungen an die Architektur herauskristallisiert wurden, fand die Studiengruppe in Otelfingen idealtypische Voraussetzungen für die Projektion ihrer Planstadt. Sie sollte im Endausbau Wohnraum für 30000 Menschen bereitstellen und so zur Entlastung Zürichs beitragen, wo man für die Jahre 2000-2010 mit einer Einwohnerzahl von 760000 rechnete.

2. Neue Stadt Otelfingen, Modellansicht, um 1959
Die «Neue Stadt Otelfingen» sah südlich der Landstrasse eine verdichtete City mit Geschäfts- und Verwaltungsbauten in Beton, Glas und Stein vor. Nördlich der Landstrasse sollten für jeweils ca. 1800 Einwohner mit der nötigen Infrastruktur ausgestattete Kleinwohnquartiere entstehen; diese wurden zu vier übergeordneten Stadtquartieren mit je ca. 7200 Einwohnern zusammengefasst. Grosse kubische, in die Höhe oder Breite entwickelte Mehrfamilienhäuser wurden entsprechend den topografischen Verhältnissen rhythmisch und locker gruppiert, im Unterschied zur City mit viel Licht- und Grünraum dazwischen. Aus Gründen des sparsamen Umgangs mit der Ressource Boden hatte in diesem Konzept das typische Einfamilienhaus keinen Platz, zur Akzentuierung markanter Geländepunkte wurde hingegen das Wohnturmhaus empfohlen.

Im Süden der City - für den Warenverkehr ideal zwischen der damals im Verkehrsplan vorgesehenen Furttalautobahn und der Bahnlinie gelegen - war eine grosse Industriezone vorgesehen. Ähnlich wie in den Wohnquartieren sollte auch hier die Ausnützung durch die Bevorzugung grosser Baueinheiten gesteigert werden.

Obwohl es sich bei der «Neuen Stadt Otelfingen» ausdrücklich um ein virtuelles Studienprojekt handelte, bei dessen Erarbeitung weder die Bevölkerung noch die Behörden von Otelfingen aktiv beteiligt waren, wurde in Presse und Öffentlichkeit das Pro und Kontra einer solchen Stadt intensiv diskutiert. Der Gemeinderat von Otelfingen sah sich deshalb genötigt, die Initianten des Projekts zur Orientierung der beunruhigten Bevölkerung nach Otelfingen zu bitten. Anlässlich dieser öffentlichen Information am 4. April 1959 zeigte sich, dass die Planer eine konkrete Umsetzung ihres Projektes gerade in Otelfingen für möglich hielten. Die Einheimischen mit ihrem hohen Anteil an Landwirten waren aber skeptisch, da «den Bewohnern ja die Existenz entzogen» und von ihrem alten Dorf nur noch der Kern um die Mühle bleiben würde, als «eine Art Museum, um dem romantischen Hang des modernen Menschen entgegenzukommen».

Im Herbst 1960 teilte die Forschungsgemeinschaft für Städtebau mit, dass sie die Mittel erhalten hatte, die wirtschaftlichen, rechtlichen und finanziellen Fragen zu einer «Neuen Stadt» abzuklären. Otelfingen war nicht interessiert: Im Frühjahr 1961 untersagten die Gemeindebehörden die Verwendung des Ortsnamens im Zusammenhang mit Veröffentlichungen über die «Neue Stadt». Das Kapitel «Neue Stadt» war für Otelfingen damit abgeschlossen.

Die neue Industriezone

Die Diskussion um die «Neue Stadt» hatte Otelfingen indessen viel Publizität gebracht und auch bereits eine gewisse Landspekulation ausgelöst. Die Notwendigkeit einer geregelten Dorferweiterung drängte sich auf. Die Behörden sahen einerseits eine Erweiterung des Wohngebietes im Sandacker vor und anderseits die Schaffung einer Industriezone weiter im Osten des Dorfes, in der Lauet, wo seit 1958 bereits die Tanklager angesiedelt waren.

Als am 17. November 1961 der Gemeinderat den «ersten, wohldurchdachten Vorschlag» für einen neuen Bauzonenplan «einhellig begrüsste», war das der Beginn einer allmählichen Änderung der Dorfstruktur, wie der planende Ingenieur Gujer, Rümlang, bei seiner Präsentation warnend zu bedenken gab.

Im Februar 1963 war im Zusammenhang mit dieser geplanten Zonenerweiterung bereits die Rede von einer «regen Bautätigkeit in der Gemeinde», die einen Bebauungsplan und die Überarbeitung der Bauordnung notwendig machte. Ingenieur Gujer zog dazu das Zürcher Planungsbüro Seiler und Barbe bei, welches auftrags des Kantons bereits die Furttalautobahn durch die Talmitte projektierte; auf diese sollte die aktuelle Dorfplanung wie vorher schon die «Neue Stadt» ausgerichtet werden .

3. Zonenplan von Seiler und Barbe, April 1963
Entwicklungsstand Otelfingen 1980
Schon im August 1963 stellten die Planer von Seiler und Barbe einen Richtplan für das künftige Otelfingen vor, bei dem sie sich offenbar auf dieselben Zahlen zur Bevölkerungsentwicklung im Raum Zürich stützten, die auch den Architekten der «Neuen Stadt» zur Verfügung gestanden hatten. Seiler und Barbe rechneten mit 4000-5000 Einwohnern im Jahre 1980 und mit 12000 im Jahr 2000; für den dann erreichten Vollausbau würden ca. 160 ha Siedlungsfläche verbraucht sein. Das überaus dynamische Bevölkerungswachstum sahen sie als Folge des zweispurigen Ausbaus der Bahn und der neuen Autobahn, durch die Otelfingen für Erwerbstätige in der Stadt Zürich als Wohngegend attraktiv wäre. Die Ausscheidung der bereits diskutieren Industriezone bezeichneten sie als wesentliche Voraussetzung für die gewünschte Ansiedlung von Industriebetrieben. Der Gemeinderat «nahm Einsicht und fand Gefallen daran».

Im Unterschied zur Radikalität der konsequent durchstrukturierten «Neuen Stadt» teilten sie aber das verfügbare Gebiet konservativ in verschiedene Bauzonen mit unterschiedlich definierten Ausnützungsziffern ein, ohne besondere Empfehlungen für die zukünftige städtebauliche Gestaltung. In der Tat entwickelte sich die Gemeinde seither etwa gemäss dieser Richtplanung, allerdings ohne die prognostizierten Bevölkerungszahlen bis anhin nur annähernd erreicht zu haben.


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