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Otelfingen, Jugendhüsli
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1. Pfarrspeicher als Jugendhäuschen

Der heute als Jugendhaus genutzte ehemalige Speicher hinter dem Pfarrhaus ist um einiges älter als bisher angenommen; man darf davon ausgehen, dass der südliche Teil 1813 schon stand und der nördliche zwischen 1814 und spätestens 1827 dazukam.

In der Tat wird bereits in den seit 1813 geführten Büchern der Brandversicherung ein an dieser Stelle befindlicher Speicher im Besitz des Kantons erwähnt, der 1827 als "freistehender Speicher, Schütte, Keller" näher umschrieben wird. Weder 1892 wie bisher angenommen noch zu einem andern Zeitpunkt ist in diesen Unterlagen jedoch ein Abbruch und Neubau des Speichers festgehalten.

In einer Zusammenstellung seines Einkommens führte Pfarrer Germann 1832 auf, dass mit seiner Pfarrstelle auch die Nutzung eines "allein stehenden, fast ganz neuen Speichers mit Keller und Remise" verbunden sei; spätestens zu diesem Zeitpunkt wurde hier also die Kutsche des Pfarrers untergestellt.

Der von Forstmeister R. Steiner 1833 aufgezeichnete Plan der gesamten Pfarrliegenschaft zeigt das als Speicher und Remise bezeichnete Gebäude westlich des Pfarrhauses inmitten eines grossen Baumgartens liegend. Während aber das Pfarrhaus verglichen mit heute sehr viel grösser war, hat sich der Speicher in seiner Anlage seither nicht verändert.

1. Ansicht von Nordwest, 2001
Gemäss einer Erhebung der kantonalen Behörde vom 27. Oktober 1837 über die gesamte Pfarrliegenschaft wurde der Speicher "seiner Zeit" mitten in einem an das Pfarrhaus anstossenden, dem Kloster Wettingen gehörenden Baumgarten als "Holzschopf" errichtet, also für die Lagerung von Brennholz. Er enthielt "gegenwärtig aber in der einen Hälfte ein Zimmer (...), das von der Tochter des Herrn Pfarrer als Lokal zum Unterricht in weiblichen Arbeiten benützt wird und unter welchem (...)[sich] ein Keller befindet. Die andere Hälfte des Gebäudes dient eigentlich mehr als Remise, da Hr Pfarrer bey seinen sonntäglichen Reisen nach Würenlos eines Wagens bedarf, denn als Holzbehälter". Diese war notwendig, weil Pfarrer Germann nach eigenen Worten im Unterschied zu seinen Amtsvorgängern nicht reiten konnte und deshalb auf eine Kutsche angewiesen war.

Die Erhebung erfolgte im Zusammenhang mit der anstehenden Ausscheidung des Besitzes des Klosters Wettingen, das derzeit immer noch die Kollatur über die Pfarrei Otelfingen innehatte. Das Grundstück mit dem Baumgarten hinter dem Pfarrhaus war Teil des alten Pfrundbesitzes des Klosters, während der Speicher darauf offenbar dem Kanton Zürich gehörte. Die kantonale Behörde ging davon aus, dass das Kloster den Baumgarten einem der Anstösser veräussern würde und erachtete es somit grundsätzlich als sinnvoll, diesem auch den freistehenden Speicher zu verkaufen, da er leicht zu einem Wohnhaus umgewandelt werden könnte. Sie war der Meinung, dass er eigentlich überflüssig war, weil im Oekonomieteil des Pfarrhauses genügend Raum für die Lagerung von Brennmaterialien vorhanden war. Vorgängig eines Verkaufs sollte der Platz um den Speicher und der Baumgarten in Absprache mit dem Kloster vermarcht werden; es wurde angeordnet, dass einem allfälligen Käufer kein Wegrecht von der Dorfstrasse durch den Pfarrhof eingeräumt werden sollte.

Die Regierung entschied sich dann aber dafür, das "Pfrundbaumgärtli" mit allen Rechten und Beschwerden für 400 Franken Zürcher Währung selber vom Kloster Wettingen zu erwerben und den Verkauf des Speichers, der in gutem bauliche Zustand war, zusammen mit einem Teil des neu erworbenen Landes voranzutreiben. Im Baumgarten, für dessen Nutzung Pfarrer Germann zuvor dem Kloster Fr. 10.- jährlichen Zins bezahlt hatte, standen damals 25 grössere und kleinere Obstbäume, daneben auch ein Bienenstand und ein Gartenhaus.

2. Ansicht von Südost, 2004
Gegen die Verkaufspläne der Regierung protestierte Pfarrer Germann energisch. Selbst wenn der Speicher von Westen erschlossen werden sollte, befürchtete er eine "Menge von Verdriesslichkeiten", weil der neue Besitzer ohne Zweifel den kürzeren Weg durch den Pfarrhof nehmen und diesen zur "Ablagerungsstätte für Allerlei" machen würde, auch bedauerte er, dass einige der "schönsten und einträglichsten Fruchtbäume" gefällt werden müssten. Mit Nachdruck wies er darauf hin, dass der Speicher durchaus nicht entbehrlich sei, insbesondere weil "seinerzeit", also frühestens 1814, im Jahr von Germanns Amtsantritt, eine Remise angebaut worden sei, um für seine Chaise "einen schicklichen Behälter" zu gewinnen. Als weiteren gewichtigen Grund gegen den Verkauf des Gebäudes führte Germann an, dass das Erdgeschoss des Speichers seit Gründung der Töchterarbeitsschule im November 1836 von Mai bis Martini als Schul- und Arbeitszimmer benutzt und deshalb von der Schulpflege mit Fenstern versehen worden war; er meinte, es dürfte schwierig sein, einen Ersatz für diesen Raum im Dorf zu finden.

Das Baudepartement lenkte am 9. September 1840 unter der Bedingung ein, dass Pfarrer Germann künftig Fr. 24.- jährlichen Zins für die Nutzung des Speichers bezahlen müsse und sich zudem verpflichte, den Gebäudeunterhalt gemäss aktuellem Bestand und Einrichtung selber zu finanzieren. Diese Regelung sollte nur für Germann, nicht aber für seine Amtsnachfolger gelten, die für die Unterbringung ihrer Materialien die damals noch vorhandene, an das Pfarrhaus angebaute Scheune benützen sollten.

Damit verblieb der "im Baumgarten gelegene Speicher mit Remise und Keller" im Besitz des Kantons und wurde in der Hofbeschreibung von 1859 als Teil der Pfrundlokalität inventarisiert..

3. Bauaufnahmen J. Meyer, 1845
Grundrisse, Querschnitt und Ostfassade des Speichers waren 1845 zusammen mit denjenigen des Pfarrhauses von J. Meyer aufgezeichnet worden. Die Grundrisse lassen erkennen, dass der Speicher ursprünglich nahezu quadratisch war. Der Keller, als "Schütte" bezeichnet, war über eine vergleichsweise breite Aussentreppe von Osten her zugänglich und hatte nach Süden und Norden ein Kellerfenster. Darüber im Hochparterre lag, ebenfalls zum ursprünglichen Bau gehörig, ein als Fruchtboden bezeichneter Raum gleicher Grösse mit zwei Fenstern; es war dieser Raum, der seine Befensterung für den seit November 1836 hier abgehaltenen Handarbeitsunterricht erhalten hatte. Auf der gleichen Ebene, ohne Unterkellerung, schloss sich nach Norden die Remise an. Der Zugang zum Remisenanbau erfolgte ebenfalls von Osten über eine Rampe unmittelbar neben der kleinen Treppe zum Fruchtboden/Schulraum und er war mit einer bis zur Dachtraufe reichenden Holztür verschlossen.

Der nachfolgende Pfarrer Näf hatte für das "durch zwei Fenster erhellte" und mittlerweile wohl nicht mehr benützte Arbeitsschulzimmer im Speicher nur wenig Verwendung und wollte deshalb den Raum einem Schreiner als Werkstatt abtreten, was ihm allerdings verweigert wurde, da man einem Amtsnachfolger keine halbe Vermietung zumuten wollte.

Bis zum 18. Dezember 1930 gibt es kaum Nachrichten über das kleine Gebäude hinter dem Pfarrhaus und seine Verwendung. Weil an diesem Datum ein Heizkörper installiert wurde, darf vermutet werden, dass es nach wie vor zu anderen als bloss Aufbewahrungszwecken benutzt wurde.

Der am 21. Oktober 1943 vom derzeitigen Pfarrer Schwarzenbach vorgelegte Plan, zusammen mit Pro Juventute im ehemaligen Speicher eine Freizeitwerkstätte für die ganze Gemeindejugend einzurichten, führte zu einer am 5. Oktober 1944 beschlossenen, gründlichen Renovation des Gebäudes.

4. Ansichten, R. Stutz, 1945
Die Pläne von R. Stutz lagen am 16. April 1945 vor. Sie lassen keine Zweifel mehr offen, dass das Gebäude von 1945 identisch ist mit dem auf dem Plan von 1845 dargestellten, indem beide Pläne denselben Grundriss zeigen mit derselben Einteilung in den älteren unterkellerten Bauteil und den etwas jüngeren Remisenanbau. Auf beiden Plänen verfügt der Keller über die gleichen Dimensionen und die gleiche Mauerstärke und auch den gleichen Treppenzugang von aussen. 1945 wurden lediglich noch zwei weitere Kellerfenster angebracht. Auch im Aufriss zeigt sich derselbe Aufbau: ein Erdgeschoss im Hochparterre mit zwei Räumen, darüber ein Dachgeschoss. Da der Remisenraum 1945 zur Werkstatt umgenutzt wurde, wurde wohl jetzt das Tor durch eine von zwei Riegeln eingefasste Tür ersetzt. Die Rampe wurde entfernt und an deren Stelle ein seitlich erreichbarer äusserer Zugang vorgesetzt, der bis zur Tür in den Schulungsraum führte und damit die alte Zugangstreppe überflüsssig machte. Die östliche Aussenseite des Schulungsraums mitsamt Riegelwerk und mit einem Fenster blieb unverändert, während das Gebäude 1945 auf seiner Südseite zwei weitere Fenster zeigt, und nach Norden deren drei.

Für die Anschaffung von zwei Hobelbänken in die neue Werkstatt lieh die Kirchenpflege am 9. September 1945 der Jugendgruppe das notwendige Geld.

5. Ansicht von Südost, 1963
Auf Wunsch der Primarschulpflege stellte 1958 die Kirchgemeinde die Werkstatt zweimal wöchentlich für die Durchführung eines Hobelkurses für die grösseren Primarschüler zur Verfügung, da es im Schulhaus weder geeigneten Raum noch Einrichtung hatte. Der zuständige Lehrer Tobler bat um Unterstützung bei der Wiederherstellung der Werkstatt und des Werkzeugs, die ihm auch zugesagt wurde, "wenn die Jugend für diese sinnvolle Freizeitbeschäftigung gewonnen werden könnte". Für die Mädchen sollte "eine Beschäftigung in Stoffbedrucken ev. Weben geschaffen werden." Der alte Speicher diente also wie 100 Jahre früher wieder dem Handarbeits- und Werkunterricht. Weil das Gebäude lebhaft benutzt wurde, ersetzte man 1960 die alte Holz-Kohle-Heizung durch einen Oelofen. Auf einer Fotografie von 1963 verfügt der Speicher noch nicht über das heute noch vorhandene wuchtig wirkende Satteldach über der Kellertreppe; am Gebäudeäusseren wurde sonst nichts verändert.

Mittlerweile meldete sowohl die Sonntagsschule und wie auch die "Altersstubete" Raumbedarf an, welchen der derzeitige Pfarrer Schönenberger durch einen Ausbau des kleinen Gebäudes zu decken vorschlug. Dies wurde allerdings vom Kanton als Besitzer der Liegenschaft abgelehnt, da man weder den Grundriss noch den Innenausbau verändert haben wollte.

Bereits 1959 hatte man bedauernd festgestellt, dass das Häuschen weder über einen Wasseranschluss noch ein WC verfügte, ein Mangel, der erst 1981/82 behoben wurde. Das damit beauftragte Ingenieurbüro H. Gujer-Schmid in Rümlang trennte mittels Einzugs einer neuen Zwischenwand einen von der Ostseite direkt zugänglichen Vorraum mit WC vom Werkraum ab und richtete gleichzeitig im "Schulraum" eine Teeküche mit Spülbecken und elektrischem Rechaud ein.

1991/92 wurde der ehemalige Speicher im Innern von Pfarrer Randegger und einer Gruppe von Jugendlichen in Fronarbeit zum heutigen Jugendhäuschen umgestaltet. Das als Billardraum benutzte obere Geschoss erhielt auf der Nordseite den vorgeschriebenen Notausgang durch Umbau des Fensters in eine Tür, die sich auf eine neue, leichtwirkende Wendeltreppe aus Stahl öffnet.

Das Gebäude gehört seit 1964 zusammen mit dem Pfarrhaus der reformierten Kirchgemeinde Otelfingen, Boppelsen und Hüttikon.

© Erika Feier-Erni, Otelfingen, April 2005


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