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Otelfingen, Reformierte Kirche

5. Die Veränderungen von 1946 bis heute

Die radikale Innenrenovation von 1946/47

25. Inneres gegen Chor nach 1957
Aus Anlass der defekten Heizanlage und des schlechten Zustandes der Bestuhlung diskutierte die Kirchenpflege am 22. Juli 1937 eine totale Innenrenovation der Kirche. Sie beauftragte Architekt Karl Müller aus Zürich-Höngg mit der Ausarbeitung von Plänen, die am 7. Dez. 1937 in zwei Varianten vorlagen. Die erste sah eine sanfte Renovation mit nur geringfügigen Veränderungen vor, nämlich Einbau einer elektrischen Heizung und einer neuen Bestuhlung, einen frischen Anstrich und Ausbesserung des Bodens. Mit der zweiten Variante schlug Müller hingegen eine totale Umgestaltung des Innenraums vor, indem nebst neuer Heizung und Bestuhlung auch eine neue Empore entstehen sollte und der Chor durch Umzug der Orgel auf die Empore freigelegt werden sollte. Damit könnte „unsere Kirche (...) nach diesen Projekten im archidektonischen und heimeligen Stil wieder neu erstehen“. Gemeint war eine Rückbesinnung auf das Kircheninnere des 17. Jahrhunderts und eine Ausstattung mit viel Holz im Sinne des Heimatstils, der in der Schweiz vor und während dem zweiten Weltkrieg weit verbreitet war und sich auf das nationalistische und rustikale Erbe berief.

Am 3. April 1938 erhielt Müller den Auftrag, die Projektierung der Innenrenovation an die Hand zu nehmen. Durch den Ausbruch des zweiten Weltkrieges wurde die weitere Planung jedoch zurückgestellt. Die Kirche wurde gemäss Protokoll vom 14. Dezember 1939 zeitweise für den gewöhnlichen Schulunterricht benötigt, da zwei Kompanien Grenzbesetzungssoldaten im Schulhaus einquartiert wurden, das allerdings nicht zur Freude der Kirchenpflege, die wegen der Vollheizung Schäden an der Orgel befürchtete. 1941 wurde aus energetischen Gründen ein Windfang beim Hauptportal und eine Wintertüre auf der Südseite angebracht.

Am 5. April 1945 lud die Kirchenpflege Architekt Müller zu einer neuerlichen Besprechung der anstehenden Innenrenovation ein und entschied sich danach, „etwas Rechtes“ zu machen. Die definitiven Pläne Müllers lagen am 4. Oktober 1945 vor und wurden vom Regierungsrat am 24.Mai 1946 mehrheitlich genehmigt; für die geplante neue Abortanlage erwartete die Behörde noch Alternativvorschläge und wollte vor allem abgeklärt haben, ob die alte Holzdecke der Kirche, also die von 1607/67, noch vorhanden sei. Noch war also nicht entschieden, ob die Kirche eine neue Holzdecke erhalten sollte.

26. Inneres gegen Empore, nach 1947
Nebst der ursächlichen neuen elektrischen Fussbankheizung, bei deren Einbau man auf die Fundamente der Vorgängerbauten von 1515 und 1545/55 stiess, und den neuen Bänken erhielt die Kirche eine neue, wieder tieferliegende, von zwei Holzpfeilern gestützte Empore mit gerader Brüstung. Tiefer gelegt wurde auch die neue Kanzel anstelle der alten „mit dem engen, steil gewendelten Treppenaufstieg“, wohl wie die übrigen Ausstattungsstücke ein Entwurf von Architekt Müller. Die alte Chororgel wurde abgebrochen und ersetzt durch ein vollständig neues, grösseres Instrument von Ziegler und Co, Uetikon, das in der nordwestlichen Ecke der Empore angebracht wurde. Der nach Entfernung der Orgel wieder einsichtige Chorraum erhielt ein Brusttäfer, der Boden im ganzen Kirchenraum wurde mit Klinkerplatten belegt. Im Westen des Langhauses wurde ein Windfang über die ganze Kirchenbreite eingezogen, somit der Aufgang auf die Empore durch eine Wand vom Kirchenraum getrennt wurde und überdies ein kleines Räumchen für den Pfarrer entstand. Alle Dekorationsmalereien wurden weiss übermalt. Der Turm erhielt auf seiner Nordseite eine neue Aussentreppe mit Zugang ins erste Geschoss; im Erdgeschoss wurde die neue Abortanlage eingebaut. Am 25. Oktober 1946 waren die Arbeiten vergeben worden und im November wurde die alte Ausstattung für rund Fr. 700.- vergantet.

Da die gesamte Bausumme tiefer als vorgesehen ausfiel, beauftragte die Kirchenbehörde Schreiner Neeracher in Otelfingen mit der Herstellung einer neue Holzdecke nach einem am 29. November 1946 genehmigten Entwurf von Architekt Müller.

Als neue Beleuchtung wurden die Langhauswände mit den sieben zweiarmigen Leuchtern mit weissen Kelchgläsern ausgestattet, die sich heute noch da befinden; auf der Empore wurde eine dazu passende Pendellampe mit Kandelen in gleichen Kelchen und unter der Empore beidseitig je ein einfacher Lampenkelch angebracht, die wohl beim Brand 1968 Schaden nahmen und entfernt wurden.

Am 25. April 1947 beschloss man, ein grosses, einfaches Holzkreuz an der südlichen Chorschulter anzubringen und am 10. Oktober des gleichen Jahres, wohl zum Abschluss der Renovation, entstand die heutige, über die ganze Breite der Chorwand gemalte Inschrift.

Lange war man sich nicht schlüssig, ob man einen Abendmahltisch oder wieder den alten Taufstein von 1843 in der Kirche haben wollte; schliesslich entschied man sich für den Abendmahltisch, für den Architekt Müller einen Entwurf vorlegen sollte; er wurde am 23. Mai 1947 genehmigt. Als letztes bewegliches altes Ausstattungsstück wurde der Taufstein aus der Kirche auf den Friedhof verbannt.

Durch die radikale Entfernung der gesamten bisherigen Innenraumausstattung und der Verzicht auf jegliche Schmuckelemente erhielt das Kircheninnere 1946/47 den heutigen nüchternen, währschaft-biederen Charakter, den man aber für einen „klaren, sauberen protestantische Kirchenraum“ angemessen fand; allein die alten neugotischen Fenstermalereien von 1902 dürften noch etwas Farbe und Abwechslung in die einheitliche und spannungslose neue Holzausstattung im homogenen Nussbaumton gebracht haben. Die Einweihung der Kirche nach der Innenrenovation fand am 8. Februar 1948 statt.

Die Aussenrenovation von 1957

27. Umbauentwurf v. K. Müller, 1956
Am 29. Dezember 1955 beauftragte das Kirchenvolk die Kirchenpflege, nicht nur die Anschaffung eines neuen Geläuts mit elektrischem Antrieb, für das seit längerem ein Glockenfonds geäuffnet worden war, sondern auch die fällige Aussenrenovation der Kirche anzupacken. Für die Projektierung wurde wieder Architekt Karl Müller von Zürich eingeladen, der bereits die Innenrenovation von 1946/47 geleitet hatte. Am 2. August 1956 legte er seine Vorstellungen dar, die – ähnlich wie bei seiner Innenrenovation - im wesentlichen die Wiederherstellung der Kirche des 17. Jahrhunderts beinhaltete. So sollte die von der Hauptstrasse direkt zum Portal führende Freitreppe von Mallaun verschwinden und wie früher wieder durch zwei seitliche Zugangstreppen ersetzt werden. Ebenso sollten der neugotischen Portalschmuck mit den beiden flankierenden gotischen Türmchen entfernt und das Portal mit einem geeigneten Vordach geschützt werden, und der Turm sollte nach Müllers „architektonischer Überzeugung“ wieder wie früher ein Käsbissendach erhalten.

Zwar empfand auch der Vertreter des Hochbauamts im neugotischen Turmhelm einen Fremdkörper; dennoch sah er „keine Notwendigkeit einer einheitlichen Bauweise in den ländlichen Kirchtürmen“, insbesondere weil der Turm noch in einem baulich guten Zustand war. Die politischen und kirchlichen Behörden stimmten für die Beibehaltung des bestehenden Turmhelms einzig aus finanziellen Gründen, obwohl der „Vorschlag des Architekten ein schöneres, der Landschaft angepasstes Bild gäbe“. Die übrigen Projektpunkte Müllers wurden alle akzeptiert und prägen das heutige Aussehen der Kirche.

28. Glockenaufzug 1957
Erste Pläne und Kostenvoranschlag Müllers lagen am 8. Dez. 1956 vor und wurden am 23. Jan. 1957 von der Gemeinde gutgeheissen. Am 30.des gleichen Monats wurde mit der Glockengiesserei Rütschi in Aarau der Vertrag für das neue Geläut und die Geläutekombination abgeschlossen. Im April standen die gewünschten Glockeninschriften fest. Der Glockenguss erfolgte am 23.Mai und am 24. August fand nach einem grossen Glockentransfer-Umzug am Vortag der feierliche Glockenaufzug statt; für den Glockenempfang und die hungrigen Begleiter wurden 45O Stück „Spez.Schübling“ in zwei Metzgereien bestellt.

Das Hochbauamt wünschte ein paar Planänderungen: das auffällig breite Vordach über dem Haupteingang, das fast über die ganze Breite der Westfassade gezogen ist, sollte höher angesetzt sein und auf Säulen aus Eichenholz ruhen, “das gebe dem Ganzen einen Karakter, der unserer bäuerlichen Umgebung besser angepasst würde“. Über dem Südeingang sollte ebenfalls ein „Dächlein in bescheidener Form“ angebracht werden und die Schallfenster wünschte man eher in rechteckiger Form, nicht in der Spitzbogenausführung von Müller. An den Schallfenstern erhitzten sich die Gemüter, denn der Gemeinderat wollte die rechteckige Ausführung nicht akzeptieren und involvierte den Heimatschutz. Schliesslich fand man den heutigen Kompromiss eines rechteckigen Fensters mit einem Mittelgewände. Der Verputz der Turmwestseite sollte komplett abgeschlagen und neugemacht werden. Bei der Gelegenheit wollte man auch die Turmuhr von der Uhrenfirma Mäder AG in Andelfingen umbauen lassen; das Zifferblatt sollte weniger wetteranfällig sein und daher aus einer ganzen Kupferscheibe und nicht nur aus einem Kranz bestehen. Mäder empfahl die Verwendung des günstigeren und billigeren Leichtmetalls Antikorodal. Die Uhr bekam damit ihr heutiges Aussehen mit einem Zifferblattkern in „Züri-Blau“, vergoldeten römischen Zahlen auf schwarzem Grund und vergoldeten Zeigern. Die Turmkrone wurde vom Otelfinger Schlosser Josef Schwitter nach dem alten Muster aus verzinktem Eisen in zwei Teilen hergestellt und von Mäder in Andelfingen vergoldet.

29. Chorfenster v. Robert Brunner, 1957
Das Chorfenster, wohl noch immer die „einfache Ausstattung“ des Glasmalers Huber-Stutz von 1902, sollte jetzt, nachdem es 1946 mit der Entfernung der Chororgel zum Blickfang geworden war, ganz mit der Darstellung eines biblischen Themas verziert werden. Glasmaler Robert Brunner, Paris, legte am 19.2.1957 eine Offerte samt drei Entwürfen vor, worauf man ihn nach Otelfingen bat. Gleichzeitig machte sich die Kirchenpflege über diverse ältere und jüngere Glasmalereien der Umgebung kundig. Da Brunners Glasbild etwa halb so teuer zu stehen kam wie das kleinere von Dietlikon, verpflichtete die Kirchenpflege Brunner. Aus seinen Entwürfen wählte sie die in „unzeitlicher moderner Ausführung“ konzipierte des „Barmherzigen Samariters“. Das Fenster sollte bis September 1957 geliefert werden. Am 16. Juli 1957 wurden die Umgebungsarbeiten dem Gartenbau-Architekten Ammann in Zürich vergeben. Nach seinem Vorschlag vom 16. September wurden die vier Pfeiler der Vorhalle nicht in Eichenholz, sondern in Würenloser Stein gefertigt; aus dem Würenloser Steinbruch stammt auch der Mosaikplattenbelag für den Vorbau. Die gewünschte rustikale Wirkung wurde auch so erreicht. Im rustikalen Heimatstil entwarf Ammann auch die Umfassungsmauer und die Treppen, die von Othmar Meier in Regensdorf ausgeführt wurden. Die Bauabrechnug wurde am 1. Dezember 1958 vorgelegt.

Der Kirchenbrand von 1968

Am frühen Morgen des 27. November 1968 zerstörte ein von der überhitzten Manual-Heizung ausgelöster Brand die Orgel, Teile der Empore und der Holzdecke; auch das Gebälk und der Dachstuhl über der Empore brannten mehrheitlich aus. Bei einigen der bemalten Glasfenster von 1902 war durch die Hitze das Blei geschmolzen, so dass sie verloren waren. Durch Rauch, Russ und Löschwasser wurde der gesamte Innenraum und auch die Fassade in Mitleidenschaft gezogen. Bereits am 3. Dezember 1968 stand fest, dass die Kirche „vor allem mit der schönen Holzdecke“ wiederhergestellt werden sollte. Mit der Durchführung der Renovationsarbeiten wurde Architekt Gustav Kellenberger, Zürich, betraut.

Als dringlich erachtet wurde die Anschaffung einer neuen Orgel. Nach Begutachtung diverser Orgeln in der Umgebung entschied man sich am 30. Januar 1969 für eine Orgel mit 15 Registern und Rückpositiv der Orgelbaufirma Matthys in Näfels. Da sie 52 Pfeiffen mehr hatte und entsprechend mehr Platz benötigte als die verbrannte Vorgängerin, war sich die Kirchenpflege einig, sie nun in der Mitte der Empore zu platzieren; für das Gehäuse wählte man Eichenholz. Die Empore wurde neu als „Sängerempore“ organisiert mit einer seitlichen Reihe von Bänken und im übrigen einer lbeweglichen Bestuhlung.

Der Vertreter des Hochbauamts und Architekt Kellenberger vertraten im September 1969 die Meinung, dass die Kanzel, der Abendmahlstisch und das Blumenbrett drei ästhetisch „fragwürdige Stücke“ wären, die gar nicht in die Kirche passten und sie schlugen vor, sie anlässlich der Renovation durch eine „bessere Arbeit“ ersetzen zu lassen. Auch Pfarrer Akeret fand die „Sperrholzkanzel gar nicht schön“, aber da die Pflege nur das erneuern wollte, was der Brand zerstört hatte und die Kirchgemeindeversammlung diesbezüglich arg zerstritten war, fand er es besser „Gottes Wort auch in der renovierten Kirche von der alten Kanzel zu verkünden“. Dennoch liess es sich der Vertreter des Hochbauamts nicht nehmen, den alten Taufstein auf dem Friedhof zu besichtigen, den er aber auch nicht als wertvolles Stück taxierte. So wurde die kritisierte Möblierung bis heute beibehalten. Die Eröffnungsfeier der wiederhergestellten Kirche fand am 1. Februar 1970 statt. Mit Ausnahme der nun zentrierten neuen Emporenorgel und den neutralen Fensterscheiben blieb das durch die Um- und Einbauten von 1946/47 und 1957 geprägte Aussehen der Kirche bis heute weitgehend unverändert.

© Erika Feier-Erni, 2.2.2005

Die verschmutzten Innen-und Aussenwände mussten frisch gestrichen werden, ebenso – um Farbdifferenzen zu vermeiden – der unbeschädigte Turm. Da die Fenster zur Reinigung ganz zerlegt werden mussten, entschied man sich, bei der Gelegenheit eine neue Doppelverglasung durch die Firma Sorotreu anbringen zu lassen; nach Begutachtung der Kirchenfenster von Bachs und Schöfflisdorf wählte man ein leichte Glastönung. Mit Ausnahme des 1957 für das Chorfenster von Robert Brunner geschaffenen Glasgemäldes, das von seiner starken Verrussung gereinigt werden konnte, sind seither die Kirchenfenster so leicht getönt, dass dies kaum bemerkt wird.


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