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Otelfingen, Reformierte Kirche

3. Die Bauerweiterungen von 1607 und 1667

Die Kirche Otelfingen erhielt durch die Erweiterungsbauten von 1607 und 1667 ihre heutigen Dimensionen und, zumindest was die Raumhülle betrifft, auch mehrheitlich ihr heutiges Aussehen. Insbesondere im Bereich der Südmauer mit der Chorschulter ist die Übernahme von aufgehenden Mauerteilen und Fenstern oder Fensterteilen aus den Vorgängerbauten wahrscheinlich, kann mit Sicherheit aber erst nach einer Analyse der Mauerteile bewiesen werden.

Die Bauphase von 1607

8. Kirche von Süden, 1837, Zeichn. v. L. Schulthess
1605, weil „die Kilchen zu Otttelfingen Verbesserung und Buwens ermanglet“, beauftragte die Zürcher Obrigkeit ihren Vogt in Regensberg mit der Abklärung, ob tatsächlich ein Vertrag zwischen Otelfingen und dem Abt von Wettingen „von wegen Erbuwung der Kilchen daselbst“ vorläge. Vor einer Sanierung wollte man nach der Weigerung von 1555 eine allfällige Beitragspflicht des Kollators offenbar noch einmal überprüfen. Die zeitgenössische Quelle sagt wenig über die Art der Bauarbeiten aus: es ist ihr nicht zu entnehmen, ob sie nur „Verbesserung“ oder einen Neubau betrafen. Da die Kosten wohl nun in der Hauptsache von Zürich zu tragen waren, trafen sich 1607 auf bürgermeisterliche Anordnung Rechnungsschreiber und Junker Hans Jacob von Schönau zweimal „vonn wägenn des Kilchenn Bauws zu Otelfingen“ mit dem „Bauwund Werch Meisterenn“, einmal war der Bürgermeister selbst anwesend.

Aufgrund der Grabungsbefunde zu den Vorgängerbauten und den Nachrichten über die nachfolgende Bauphase von 1667 darf man vermuten, dass 1607 wiederum nicht ein kompletter Neubau erstellt, sondern hauptsächlich die nördliche Langhausmauer nach Norden versetzt wurde; die Südmauer blieb an Ort. Das um etwa einen Drittel verbreiterte Kirchenschiff schloss bei den heutigen mittleren Langhausfenster und erhielt eine Empore.

9. Inneres gegen Chor, 1837, Zeichn. v. L. Schulthess
Die Verbreiterung des Schiffs erforderte ein neues Dach. Im Innern wurde eine flache Holzdecke eingezogen. Das Aussehen dieser Decke mitsamt ihrem Baudatum 1607 ist auf der von Ludwig Schulthess 1837 gezeichneten Innenansicht festgehalten, die den damals noch unveränderten Zustand der Kirche des 17. Jahrhunderts zeigt. Die Decke bestand aus ornamental bemalten Holzbrettern, die durch eine Längs- und eine Querleiste in vier Abschnitten zusammengefasst waren; das Datum 1607 war im Geviert um den Schnittpunkt der Leisten angebracht. Von den bemalten Brettern wurden anlässlich der Innenrenovation von 1946 mindestens drei Teile gefunden; sie waren 1842/43 nach Entfernung der alten Holzdecke als Baumaterial für die damalige neue Empore benützt worden.

Als neuer Bauteil entstand vermutlich 1607 der Turm, der nach Osten an die Stirnwand des Kirchenschiffs angebaut und zu diesem hin geöffnet wurde. Noch 1935 war auf der rechten Chorwandseite die Jahrzahl 1652 über einer mit einem Eisengitter verschlossenen und heute verschwundenen Maueröffnung sichtbar . Der Turm kann somit keinesfalls später als 1652 entstanden sein; plausibel bleibt aber die Annahme, dass er gleichzeitig mit der Langhauserweiterung gebaut wurde. Aus der Saalkirche wurde damals also eine Chorturmkirche.

Wohl zum Abschluss der Bauarbeiten stiftete Christoffel Schlatter, der wohlhabende Müller auf der Mühle Otelfingen und gemäss Inschrift damals Kirchmeier, 1608 die grosse Glocke, die nebst dem Datum auch sein Wappen mit dem halben Mühlerad und der Taube darauf trägt. Die Glocke ist seit 1957 in der Grünanlage südlich des Kirchturms aufgestellt.

Die Bauphase von 1667

10. Fragment der bemalten Decke v. 1607
Am 8. Juni 1664 genehmigte der Zürcher Rat einstimmig ein Gesuch der Gemeinde Otelfingen betreffend eine erneute Vergrösserung ihrer Kirche. Allerdings wurde Otelfingen ermahnt, sich vor Beginn der Bauarbeiten insbesondere über die notwendigen Geldmittel zu orientieren und die Regierung darüber zu informieren. Wohl im Zusammenhang mit diesem Gesuch liess die Regierung von drei Fachleuten eine Stellungnahme zu diesem Bauvorhaben ausarbeiten. Dieses überaus interessante Dokument, datiert vom 23. Juni 1664, ist erhalten; es orientiert uns sowohl über den Grund der Erweiterung wie auch über zwei Projektvarianten. Bezüglich die Notwendigkeit einer Bauerweiterung wurde festgehalten, dass die Platzverhältnisse in der Kirche Otelfingen allein schon für die Otelfinger und Boppelser beengend wären. Definitiv zu eng würde es jeden zweiten Sonntag, wenn die Evangelischen von Würenlos, Oetliken und Hüttiken gemäss altem Brauch dazustossen würden. Die Verfasser des Berichtes bezogen sich hier auf die seit der Reformation gültige Regelung, dass der Pfarrer von Otelfingen nur jeden zweiten Sonntag in der paritätischen Kirche in Würenlos vor der dortigen reformierten Bevölkerung zu predigen hatte; am andern Sonntag mussten sich die dortigen Evangelischen nach Otelfingen bemühen. Dass dabei einige dieser Evangelischen aus Würenlos die Platznot zum Anlass nahmen, den Kirchgang zu schwänzen, wurde ebenso erwähnt, wie die Tatsache, dass an Festtagen zusätzliche Evangelische, die im katholischen Baden zur Kur weilten, zum Gottesdienst nach Otelfingen als der nächstgelegenen reformierten Kirche kamen.

Um „mehr Sitz und Platz“ zu machen, legten die drei Experten zwei Varianten vor: Variante 1 sah vor, auf der einen Längsseite der Kirche von der bestehenden Empore bis zur Chorwand eine zweite Empore einzubauen. Wegen der vergleichsweise niedrigen Kirche wäre allerdings eine Anhebung der Kirchendecke und des Dachstuhls um 2 oder 3 Schuh, also ca 60-90cm erforderlich, ebenso eine gleiche Erhöhung der Fenster, weil der Raum sonst zu dunkel und „düppig“ würde. Diese Variante brächte 60-70 zusätzliche Plätze.

Da die bestehende Kirche recht breit, aber ziemlich kurz war, schlugen die drei Experten als zweite Variante vor, sie „mit guter Manier“ um 18 Schuh, d.h. ca. 5.4m zu verlängern. Dafür würde der Abbruch der Giebelmauer mit dem grossen Kirchenportal und der Tür zur Empore nötig, die Verlängerung der bestehenden Seitenwände durch Aufführung zweier neuer Mauerstücke inklusive je einem Fenster und einer entsprechenden Verlängerung des Dachstuhls. Die Experten empfahlen die Verlängerung als beste Lösung, sofern man die notwendigen Mittel dazu bewillige, denn diese Variante wäre deutlich kostspieliger als die erste.

11. Glocke von 1608, Detail
Als Beitrag an die Kirchenerweiterung hatten die Gemeinden Otelfingen und Boppelsen versprochen, das Holz und die für den Bau wie für die Herstellung von Kalk notwendigen Steine beizusteuern, ebenso Transporte und Fronarbeit zu übernehmen „wan man sy nur mit Geltstühren nit beschwere“. Für Ziegel, Latten, Laden und Nägel, sowie die Löhne für den Steinmetzen der beiden Fenster, den Zimmermann, den Dachdecker und den Tischmacher müssten etwa 350 Gulden aufgebracht werden. Nicht inbegriffen war der Lohn für den Glaser, wofür aber bereits 150 Gulden gezeichnet waren. Glasfenster gehörten in der Tat zu den teuersten Bauteilen einer Kirche und wurden oft einzeln von verschiedenen Instanzen gestiftet; für Otelfingen scheinen sich bereits Stifter für 150 Gulden verpflichtet haben, wie üblich gehörten sie zur Obrigkeit und ihre Amtsvertreter, die traditionsgemäss die Pflicht zu einer Fensterstiftung hatten.

Die drei Experten waren der Meinung, mit 500 Gulden „disen Bauw wol ussfertigen“ zu können und sie erinnerten die hohe Obrigkeit in Zürich an die ansehnlichen Steuern aus der Grafschaft Baden, selbst wenn sie bei den „Prelaten zu Wetingen diessfahls nüd mehr fordern könnind, als weliche von diesen Brüdern sich ussgekaufft haben“. Sie bezogen sich darauf, dass Zürich mit Wettingen erst vor kurzem vertraglich vereinbart hatte, dass Wettingen 2500 Gulden an den Bau des Pfarrhauses zahlen müsse und dann „zu ewigen Zyten“ von Aufwendungen für die Kirche oder das Pfarrhaus befreit wäre.

Am 6. März 1667 erhielt die Gemeinde einen Baubeitrag von 100Gulden aus dem Obmannamt und 4000 Ziegel aus dem Bauamt zugesprochen, ebenso 1667 und 1668 je 230 Gulden von der Vogtei Regensberg..

1607 und 1667 hat die Kirche von Otelfingen im wesentlichen ihre heutige Gestalt erhalten. Da im 18. Jahrhundert keine bedeutenden Baueingriffe erfolgten, kann man davon ausgehen, dass Grundriss, Aussenansicht und Innenansicht, die Ludwig Schultheiss 1837, kurz vor der ersten grossen Umgestaltung des Baus im Jahre 1842/43, aufzeichnete, eine gute Vorstellung von ihrem ursprünglichen Aussehen und ihrer Ausstattung vermitteln.

12. Grundriss 1837, Zeichn. v. L. Schulthess
Die Proportionen der Chorturmkirche von 1607 mit ihrem nahezu quadratischen Chor und ihrem ziemlich gedrungenen Langhaus gewannen durch den Westanbau von 1667 wesentlich an Harmonie. Der Turm war mit zwei Gesimsen gegliedert und trug ein Käsbissendach. Der Haupteingang befand sich in der Mitte der Westfassade und war durch ein Vorzeichen gedeckt, durch einen kleinen Vorbau aus Holz war das Langhaus vom Süden her zugänglich. Das spitzbogige Portal war durch plastisch hervortretende Sandsteinprofile eingefasst.

Im Innern gehörte zum neuen Westanbau die von zwei Säulen gestützte Empore mit Seitenwangen. Langhaus wie Chor behielten aber die flache Holzdecke von 1607, die 1667 nach Westen wohl ähnlich ergänzt wurde.

Ausstattung

13. Wappenscheibe v. Pfr. Trüb, 1667
Die Spitzbogenfenster mit einfachen Sandsteingewänden hatten transparente Scheiben. Diejenigen des Langhauses waren seit 1667 wohl auf ihrer untern Hälfte mit den farbigen Wappenscheiben ihrer Stifter geschmückt. Solche sog. Standes-und Ämterscheiben waren im 17. Jahrhundert in Zürich so verbreitet, dass Glasmaler Hans Wilhelm Wolf (1638-1710) sich darauf spezialisieren und die Obrigkeit während fast 50 Jahren damit beliefern konnte. Auch der Otelfinger Satz dürfte von seiner Hand stammen. Fünf der vermutlich sechs Scheiben mit dem Datum 1667 haben sich erhalten und ehren in hierarchischer Reihenfolge den Bürgermeister von Zürich. Joh. Heinrich Waser, die Landvogtei Regensberg, den Landvogt von Regensberg Joh. Rud. Grebel, Schultheiss und die Burgerschaft von Regensberg, den Otelfinger Pfarrer Heinrich Trüb. Leider befindet sich kein einziges dieser farbenfrohen Werke mehr am ursprünglichen Standort; sie sollen 1818 alle verkauft worden sein.

Die Kanzel war in der Mitte einer in halber Höhe über die ganze Breite des Chorbogens gezogene Kanzelbrüstung angebracht und von hinten über eine Treppe erreichbar; es handelte sich hier um einen sog. Kanzellettner. Die zentrale Position, architektonisch überhöht durch den Chorbogen darüber, betonte die Bedeutung des verkündeten Wortes in der reformierten Kirche. Vor der Kanzel, die 1892/93 beim Einbau einer Chororgel abgebrochen wurde, stand ebenfalls zentral auf der Mittelachse der Taufstein; er wurde 1843 durch einen neuen ersetzt.

Die Otelfinger Kirche von 1607 und 1667 ist stilistisch mit den vielen spätgotischen Kirchenbauten verwandt, die mehrheitlich in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts in der Zürcher Landschaft entstanden sind. Für einen Bau aus dem 17. Jahrhunderts ist das eine beträchtliche Stilverzögerung. Sollten aber zukünftige Bauanalysen die Vermutung bestätigen, dass die südliche Langhausmauer der Kapelle von 1515 mit den stilbildenden Spitzbogenfenstern oder Teilen davon sowohl bei den Bauerweiterungen von 1554/55 und 1607 beibehalten wurde, fände das eine einleuchtende Erklärung. Aus Gründen der Analogie hätten die Baumeister von 1607 und 1667 für die Fenster des nördlichen Langhauses, des Chors und des Langhausanbaus, sowie für das Portal die mittlerweile leicht veraltete Stilsprache verwenden müssen, die 1515 in Mode war; dies wurde wohl wegen der Kostenersparnis in Kauf genommen.

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