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Otelfingen, Schulhaus von 1877 / heute Gemeindehaus
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1. Eine unendliche politische Vorgeschichte

Das Schulhaus von 1877 verfügt über eine ausgesprochen lange und kontroverse Vorgeschichte. Sie macht deutlich, wie wichtig die Sekundarschule schon wenige Jahrzehnte nach ihrer Gründung für breite Kreise der Bevölkerung geworden war. Auf der anderen Seite zeigt sie aber auch die grossen Verpflichtungen, die der Allgemeinheit aus der neuen öffentlichen Aufgabe erwuchsen und die man in langen Diskussionen zu optimieren suchte.

Nach der Annahme des neuen zürcherischen Schulgesetzes von 1832 nahm der Kanton Zürich den darin vorgesehenen Aufbau der Sekundarschulstufe zügig an die Hand. Bereits 1835 entstand eine Sekundarschule in Regensdorf, in welche auch die Schüler des 49. Schulkreises eingewiesen wurden, zu dem die Furttaler Gemeinden gehörten.

Da es damals weder eine Bahn noch Velos gab, mussten die Sekundarschüler von Otelfingen den Weg unter die eigenen Füsse nehmen, immerhin ein Fussmarsch von1 1/ 2 Stunden. In der Regel wohnten sie als Kostgänger bei einer Familie in Regensdorf und kehrten nur übers Wochenende nach Hause zurück.

1. Detail mit Schulhaus von Postkarte, ca. 1895
Der spätere Arzt Johannes Oskar Wyss aus Otelfingen beschrieb die beschwerlichen Begleitumstände seines Schulbesuchs in Regensdorf anschaulich. Wohl nicht zufällig gehörte sein Vater zu den Promotoren einer eigenen Sekundarschule in Otelfingen. Er sass mit in der Kommission, welche 1856 von der Gemeinde mit der Untersuchung beauftragt worden war, "wie das hiesige Schulwesen verbessert und auf eine höhere Stufe gehoben werden könne". Als ein neues Schulgesetz zusätzliche Sekundarschulen im Kanton vorsah und die interessierten Gemeinden ihre Gesuche einzureichen hatten, traf sich die Kommission am 14. Dezember 1859 mit den Vertretern der übrigen unteren Furttalgemeinden zu einer ausserordentlichen Sitzung. Sie erörterten, ob ein wirkliches Bedürfnis nach Errichtung einer eigenen Sekundarschule in Otelfingen vorhanden sei. Nachdem sie dies ganz klar bejaht hatten, wandten sie sich der "zweiten und wichtigsten Frage" zu, wie die Kosten zu finanzieren wären.

Bereits am 7.Januar 1860 hatte die Gemeindeversammlung in dieser Sache zu entscheiden. Gemäss Gutachten der Kommission sollten die Kosten für die ersten Schulbedürfnisse "nach dem Steuerfuss", diejenigen für ein erstes provisorisches Schullokal und seine Beheizung aus dem Gemeindegut, und die wiederkehrenden Schulkosten durch einen Schulfonds aus freiwilligen Beiträgen gedeckt werden.
Weil es "nicht ausbleiben werde, dass die Gemeinde zum Bau eines neuen Schulhauses veranlasst werde", sollte sie die Kosten für Bauplatz und Baumaterialen übernehmen. Die damals für Gemeindewerke üblichen Frondienste wären gemäss der bestehenden Gemeindewerkordnung zu leisten, und die Kosten für die Ausführung des Baus wären "zu 2/3 aus dem Gemeindegut und zu 1/3 aus dem Steuerfuss" zu tragen.

Die Verquickung des Grundsatzentscheids über pro oder contra einer eigenen Sekundarschule mit der gleichzeitigen Festsetzung der Finanzierungsmodalitäten für den Bau eines zukünftigen Schulhaus stiess allerdings nicht nur auf Zustimmung. Eine starke Opposition, der die überproportionale Belastung der Gemeinde Otelfingen nicht entgangen war, verlangte Vertagung des Geschäfts zwecks eingehender Prüfung der vorgeschlagenen Kostenverteilung. Die Befürworter der Schule beantragten aber eine rasche Verabschiedung des Kostenmodells gemäss Gutachten sowohl für die provisorische Sekundarschule wie für den späteren Schulbau. Sie obsiegten mit einer knappen Mehrheit von gerade 3 Stimmen. Der erste Schritt auf dem Weg zur Sekundarschule und einem neuen Schulhaus in Otelfingen war damit getan.

Die politische Auseinandersetzung rund um die Finanzierung hatte aber erst begonnen und sollte noch jahrelang dauern.

Voraussetzung für die Erteilung der kantonalen Konzession war der Nachweis, dass mindestens 15 Schüler die neue Schule besuchen wollten. Am 7. Februar 1860 erklärten sich deshalb 29 Väter schriftlich bereit, "für den Fall der Errichtung einer Secundarschule in Otelfingen und deren Eröffnung mit angehendem nächsten Schuljahr" ihre namentlich aufgeführten Kinder während der nächsten drei Jahre in die neue Schule zu schicken.

2. Die "Brauerei", ehemals das "Neuhaus", ca. 1910
Eine weitere Voraussetzung, das Vorhandensein eines Schulraumes, erfüllte die Gemeinde, als sie am 6. Februar 1860 mit Salomon Schibli, Besitzer des "Neuhaus" (heute Restaurant Brauerei) einen vorläufigen Vertrag für ein provisorisches Sekundarschullokal in seinem Hause abschloss. Danach trat er das "zu ebener Erde gelegene Zimmer" mit zwei Fenstern nach Süden , die heutige Gaststube also, für eine Dauer von sechs Jahren als Schullokal ab, und zwar während der ersten drei Jahre gratis, danach gegen Miete, die zwischen ihm, der zukünftigen Schulpflege und der Gemeinde noch festzusetzen wäre. Er verpflichtete sich, das Lokal bei Bedarf sofort zu räumen und die von der Schulbehörde angeordneten Umbauten zügig vornehmen zu lassen; die Kosten hätte die Gemeinde zu tragen.

Am 10.März 1860 sollte die Gemeindeversammlung die Beschlüsse der Schulgemeinde vom 7. Januar ratifizieren. Nebst dem Entscheid für oder wider eine Sekundarschule in Otelfingen waren der freiwillige Fonds sowie die Bestimmungen für den Bau des zukünftigen Schulhauses traktandiert. Der Gemeinderat schlug diverse Modifikationen zur Entlastung der Gemeinde vor, was zu einer hitzigen Debatte und schliesslich zum Abbruch der Versammlung führte.

7 Tage später hatten sich die Bürger deshalb erneut zu versammeln. Nach verzogenem Pulverdampf folgten sie nun einmütig dem gemeinderätlichen Antrag. Die Bestimmungen betreffend ein allfälliges neues Primar- und Sekundarschulgebäude erfuhren leichte Korrekturen zu Gunsten der Gemeinde: "Unter Baumaterial ist ausschliesslich sämtliches zum Bau erforderliches Holz, das die Gemeinde, ohne es kaufen zu müssen, aus ihrer Gemeindewaldung liefern kann, ferner Mauersteine, Ziegel und Kalk zu verstehen." Die übrigen Baukosten sollten nur noch "zur Hälfte aus dem Gemeindegut, und zur andern Hälfte nach dem Steuergesetz" getragen werden. Zudem wurde bestimmt, dass die Zinsen aus dem zu äuffnenden Sekundarschulfonds für die Finanzierung des Schulhausbaus beigezogen werden dürften, sofern sie für die laufenden Ausgaben der Sekundarschule nicht ausgeschöpft würden. Zugestimmt wurde zudem der Bestimmung, dass der "Erlös von den jetzt bestehenden Schulgebäuden [...] gleich wie der Staatsbeitrag zunächst von den Baukosten abgerechnet" werden sollte. Auch wurde festgehalten, dass alle freiwilligen Beiträge, ungeachtet der Bedingungen, unter denen sie gezeichnet worden waren, auch tatsächlich in den Sekundarschulfonds einbezahlt werden sollten. Die Gemeinde Boppelsen liess zu diesem Punkt mitteilen, dass sie in gegebenem Falle Fr. 500.- an die zukünftigen Baukosten geben würde.

Die Schulgemeindeversammlung, zu deren Lasten die Änderungen mehrheitlich gingen, hiess anderntags die neuen Bestimmungen gut und verlas die offizielle Petition für die Einrichtung einer Sekundarschule in Otelfingen , die am 18.März an die Erziehungsdirektion abging. Am 20. April notierte der Erziehungsrat den Eingang der Bittschrift.

In ihrer Stellungnahme zum Otelfinger Gesuch sprach sich die Sekundarschule Regensdorf vehement gegen die Gründung einer Sekundarschule in Otelfingen aus, da.sie sich durch die Abwanderung der Schüler des unteren Furttals in ihrer Existenz bedroht sah. Sie benützte die Uneinigkeit der Otelfinger Bevölkerung als gewichtiges Argument gegen das Projekt, da "die Möglichkeit vorhanden ist, dass solche Opposition früher oder später der Schule nachtheilig werden könnte". Die Bezirkschulpflege hingegen unterstützte das Otelfinger Gesuch, weil die "gesetzliche Requisite, an welche die Bewilligung der Errichtung einer neuen Sekundarschule gebunden ist", erfüllt wäre. Ihr folgte die Erziehungsdirektion und entschied am 24.5.1860 für eine Aufteilung des 49. Sekundarschulkreises und für die Gründung einer Sekundarschule für die vier unteren Furttalgemeinden mit Sitz in Otelfingen. Die Eröffnung der Sekundarschule Otelfingen wurde auf Anfang des Schuljahres 1860/61 festgelegt.
Als erster Sekundarschullehrer wurde Heinrich Gut aus Wangen/ZH gewählt, der sein Amt am 1. November 1860 antreten sollte.

Obwohl die Sekundarschule jetzt beschlossene Sache war, schwelte in Otelfingen der Streit um die von der Schulgemeindeversammlung vom 7.Januar 1860 verabschiedete Kostenverteilung zwischen Gemeinde und Schule weiter. Einige Bürger, wohl aus dem Kreise der Schulbefürworter, erklärten das Protokoll für unvollständig und verlangten eine Neufassung, die am 21.Juni 1860 der Gemeindeversammlung vorgelegt wurde. Darin wurde neu präzisiert, dass die Gemeindekasse auch die Kosten für die Lehrerwohnung zu tragen habe und die Schulgenossen die erste Anschaffung der Lehrmittel und deren Unterhalt so lange nach Steuergesetz zu übernehmen hätten, bis die regelmässigen Einnahmen dafür ausreichten. Von beidem war in der ersten Fassung nicht die Rede. Das Protokoll wurde von einer Mehrheit stillschweigend genehmigt; die drei führenden Opponenten erklärten nur das erste Protokoll für richtig.
Die Opposition, der es wohl weniger um Widerstand gegen die neue Schule als um die Schonung der Gemeindefinanzen ging, scheute auch vor gelegentlich eher fragwürdigen Mitteln nicht zurück. So versuchte sie, nachdem am 28. August 1860 das provisorische Schullokal im "Neuhaus" von der Bezirksschulpflege Dielsdorf unter Auflagen genehmigt worden war, entgegen dem bestehenden Interimsvertrag die Umbaukosten dem Hausbesitzer zu überbinden. Dies führte allerdings nur zu einem langwierigen und für die Gemeinde erfolglosen Streit. Dieser Streit zeigt exemplarisch aber auch den damals extrem kostenbewussten Umgang mit den öffentlichen Finanzen und dem öffentlichem Eigentum auf.

Von nun an fokussierte sich die politische Auseinandersetzung nur noch auf den Schulhausneubau.

3. Ansichten von Otelfingen, Postkarte nach 1900
"Da der Gemeinde wohl unausweichlich einmal die Herstellung anderer Schullokalitäten bevorstehe", orientierte der Präsident die Gemeindeversammlung am 12. Januar 1861 darüber, dass die Erben des Otelfinger Arztes Dr.Vontobel das Arzthaus verkaufen wollten, welches sich möglicherweise "ohne allzu grosse Opfer zu einem den Bedürfnissen entsprechenden Schulhaus umwandeln lasse". Er beantragte der Gemeinde deshalb, Haus und zugehörige Liegenschaften zu erwerben, falls es für 10000 fl zu haben sei. Es sei eine Expertise einzuholen, ob, wie und mit welchen Kosten sich das Haus zu einem den Vorschriften entsprechenden Primar- und Sekundarschulhaus umbauen liesse und ebenso eine "Plan- und Kostenberechnung" für einen Neubau. Der Kauf solle nur bindend sein, wenn das Haus gemäss den für Primar- und Sekundarschule geltenden Massstäben eingerichtet werden könne und Ankaufssumme und Einrichtungskosten unter den Kosten für einen Neubau lägen. Der präsidiale Antrag erhielt gegenüber einem Antrag der Neubau-Befürworter, die sich auf den Beschluss vom 7. Januar 1860 beriefen und einem weiteren Antrag auf Verschiebung wegen mangelnden Bedarfs eine Stimmenmehrheit. Ein Entscheid kam aus formalen Gründen dennoch nicht zustande, weil eingangs die Stimmberechtigten nicht gezählt worden waren.

Eine Wiederholung der Versammlung fand offenbar nicht statt und die Vontobel’sche Liegenschaft wurde an Private verkauft.

Trotzdem war voraussehbar, dass das Provisorium im "Neuhaus" auf die Dauer nicht genügen konnte. Am 28. Mai 1868 verlangte die Bezirkschulpflege ein eigenes und besser geeignetes Schullokal, worauf die Gemeindeversammlung zur Abklärung eine fünfköpfige Kommission einsetzte. Erst nach fünf weiteren Jahren erfolgte der nächste Schritt, indem am 31. Oktober 1873 die Bezirksschulpflege Dielsdorf den Bauplatz für das neue Schulhaus genehmigte, einen Baumgarten, der Salomon Kofel und Johannes Schibli gehörte. Sekundarschullehrer Gut zeichnete auf Grund der gefassten Beschlüsse einen Situationsplan, den "Schulhausplan Otelfingen", in welchem er als brisante Details die von der Dielsdorfer Behörde gewünschte Arrondierung des Bauplatzes auf eine gerade Linie, den Abbruch des angrenzenden Waschhauses von Johannes Schibli und den Einbezug des Landes, auf dem es stand, einzeichnete. Das Problem war, dass der Eigentümer sein Waschhaus nicht hergeben wollte, was wieder zu einem intensiven amtlichen Briefwechsel und schliesslich, wegen übergeordneten öffentlichen Interesses, zu einem Enteignungsverfahren führte.

4. Postkarte mit Schulhaus, um 1912
Mit der Konkretisierung der Neubaupläne brach der alte Konflikt um die Finanzierung des neuen Schulhauses noch einmal aus. 30 Bürger verlangten am 10. Februar 1874 eine Schulgemeindeversammlung zur Aufhebung der Beschlüsse von 1860, "weil die darin aufgeführte Zahlungsweise der Kosten der Schulhausbaute den jetzigen Verhältnissen keineswegs angemessen sei". Am 18. Februar kommentiert die Schulpflege die mittlerweile eingegangene Petition, dass die angeführten Gründe das Gemeingut respektive die Schule betreffen und dass es nicht im Interesse der Schulgüter liege, "die Beschlüsse aufzuheben, wenn es auch dem Frieden zu liebe wünschenswert sei".

Das Plädoyer von Sekundarschullehrer Heinrich Gut an der Versammlung ist als Redeentwurf vom 26. Februar 1874 erhalten geblieben. Mit Eloquenz verteidigte er die Beschlüsse von 1860 und verhehlte dabei nicht, dass die Kostenverteilung zum Vorteil der Schule ausgefallen war. Er betonte aber auch den besonderen Nutzen des Neubaus für die Gemeinde, da er auch Gemeindelokalitäten und die Primarschule samt Lehrerwohnung beherbergen würde. Er vermisste die Aufzeigung einer Alternative auf Seiten der Opponenten und warf die Frage auf, ob die Gemeinde wirklich ein alleinstehendes Schulhaus erstellen wolle "wenn auch mit höheren Kosten" und ob es "bei dem jetzigen Stand der Schulhausbaute am Platz sei, einen Beschluss bloss aufzuheben ohne auch gerade anzugeben, was hierauf anzufangen sei". Er befürchtete fortwährende Reibereien, die Frieden und Eintracht störten, "die doch gerade jetzt so nöthig wären, wo alle Kräfte sich vereinigen sollten zum glücklichen Anfang und zur freudigen Vollendung eines Baues, der Jahrhunderte lang eine Krone und Zierde der Gemeinde sein sollte".

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