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Otelfingen, Das Haus zur Brauerei. Ein Stück Wirtshaus- und Brauereigeschichte

6. Gasthof zum Neuhaus mit Tanzsaal und Sekundarschulraum, 1852-1879

18. Restaurant Höfli, ehem. Weinschenke des Salomon Bräm und seit 1860 Taverne, 2008
In der Zwischenzeit war die Zahl der Weinschenken im Dorf wieder auf eine einzige zurückgegangen. 1854 gab es neben Salomon Schiblis Taverne zum Neuhaus nur noch die Weinschenke des Jakob Surber im Hinterdorf, die im nachfolgenden Jahr verschwand, während im Unterdorf Salomon Bräm eine neue eröffnete. Diese erhielt 1860 ebenfalls das Tavernenrecht und den Namen «zum Höfli». Damit hatte Otelfingen zwei Gasthöfe, die sich am Anfang und am Eckpunkt der Vorderdorfstrasse gegenüber lagen und in den nächsten Jahrzehnten intensiv miteinander im Wettbewerb standen. Neue Weinschenken erschienen nur noch sporadisch, eine einzige konnte sich seit ihrer Eröffnung 1874 dauerhaft halten, nämlich die des Jean Hauser, aus der später das «Restaurant Hauser» und dann das «Restaurant Frohsinn» wurde. Bemerkenswert ist, dass diese drei Gaststätten des 19. Jahrhunderts bis heute fortbestehen.

19. Restaurant Frohsinn, ehem. Weinschenke des Johannes Hauser und später Restaurant Hauser, 2008.
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts begann für das Haus zur Brauerei respektive den Gasthof zum Neuhaus die Zeit der baulichen Erweiterungen nach Norden, die das rückwärtige Erscheinungsbild des Hauses massgeblich veränderte. 1854 erhielt der alte, noch immer freistehende Speicher mit dem gewölbten Keller von 1720, der ehemals zum Althaus gehört hatte, einen Waschhausanbau. Dann füllte Salomon Schibli 1861 die Baulücke mit einem direkt dem Bachlauf entlang geführten Neubau, der einerseits direkt mit dem Haus zur Brauerei, andererseits mit dem alten Speicher verbunden wurde. Das neue Gebäude, gleich hoch wie das Haus zur Brauerei und hofseitig oben geriegelt und unten aus Holz, beherbergte über einem Schopf im Erdgeschoss einen Tanzsaal. Als selten gewordener Vertreter seiner Spezies ist dieser Tanzsaal heute noch vorhanden, kann aber nicht besichtigt werden.

20. Haus zur Brauerei, Eiskellergebäude (l), Speicher von 1720 (Mitte) und Tanzsaal (r ) von Westen. Zeichnung 1968
Tanzsäle entsprachen damals einem verbreiteten Bedürfnis und kamen entsprechend häufig vor. Öffentliches Tanzen war gemäss Zürcher Gesetz von 1839 in Tavernen und Speisewirtschaften an vier vom Regierungsrat festgesetzten Tanzsonntagen erlaubt; an den Sonntagen während der Ernte, Weinlese, an den Kirchweihen und Jahrmärkten war es nicht bewilligungspflichtig. Angesichts ihrer spärlichen Zahl waren die Tanzsonntage gesellschaftliche Ereignisse, wo man sich in Musse traf und kennen lernen konnte. Der Wirt, der über die entsprechenden Platzverhältnisse verfügte, hatte sein Lokal voll und konnte überdies davon profitieren, dass für Tanzsonntage Freinacht bewilligt wurde. In Otelfingen war das in der Regel eine Verlängerung von drei Stunden über die Polizeistunde um 23 Uhr hinaus.

Nachdem der Höfli-Wirt bereits 1857 einen Tanzsaal an sein Lokal angebaut hatte, wollte ihm Salomon Schibli wohl das lukrative Feld nicht länger allein überlassen und zog mit einem eigenen Tanzsaal nach.

21. Haus zur Brauerei, Tanzsaal von Westen, 2008
Der Tanzsaal war auch Schauplatz zahlreicher Ganten und Hochzeitsfeiern, für die in der Regel ebenfalls Freinacht bewilligt wurde. Überhaupt zeigten sich die Otelfinger recht festfreudig, was sich nicht nur in zahlreichen Freinachtsgesuchen der beiden Gasthofwirte niederschlug , sondern auch in den Verstössen gegen die Polizeistunde. So tadelte das Statthalteramt beispielsweise am 10. Oktober 1861, dass zum Abschluss der Bauarbeiten am Kirchturmdach im Höfli die ganze Nacht durchgefeiert und auch im Neuhaus anlässlich des Schulfestes zur Einsetzung von Lehrer Meier über die vom Gemeinderat bewilligte Freinacht hinaus getanzt worden sei. Allerdings hatte Wirt Schibli schon vorgängig vergeblich um eine gänzliche Freinacht nachgesucht, weil das Nachtessen bis Mitternacht dauern würde und dann zuwenig Zeit zum Tanzen übrig bliebe. In der Folge behalf er sich selbst und setzte sich über die bewilligte Frist hinweg; er wurde deshalb mit einer Busse von Fr. 12.- bestraft, gegen die er erfolgreich rekurrierte.

22. Haus zur Brauerei, Tanzsaal vom Hof aus, 2007
Die Küche und die Gaststube im Haus zur Brauerei befanden sich damals im ersten Stock, was im 19. Jahrhundert durchaus üblich war. Im Erdgeschoss, wo die heutige Gaststube ist, war ursprünglich ein wohl für die Vorratshaltung bestimmter, nur rudimentär ausgebauter Raum, ähnlich dem in der benachbarten Mühle. Dieser Raum war ein Ersatz für den Keller, auf den wohl wegen der Nähe zum Bach verzichtet worden war. Bewohnbar gemacht wurde dieses «zu ebener Erde gelegene Zimmer, 17 Fuss lang, 17 Fuss breit, 9 Fuss hoch, mit zwei Fenstern gegen Mittag» erst, als es Salomon Schibli 1861 für eine vorgesehene Dauer von sechs Jahren als provisorisches Schullokal für die kurz vor der Realisierung stehende Sekundarschule vermietete. Dafür verpflichtete er sich, den dazu nötigen Umbau vorzunehmen, nämlich die Eisengitter vor den beiden Südfenstern zu entfernen und ein zusätzliches Fenster inkl. Fensterladen gegen Osten einzusetzen, einen Fussboden einzulegen, Decke und Wände zu verputzen, Brusttäfel und helle Tapeten anzubringen sowie einen Ofen in die Nordwestecke zu stellen. Wohl weil es im Haus selbst nun keinen Vorratsraum mehr gab, wurde 1864 unter der Kegelbahn ein gewölbter Keller angelegt.

Die bemerkenswerte und eher seltene Kombination von Sekundarschullokal und Gasthof unter dem gleichen Dach bestand bis zur Fertigstellung des neuen Sekundarschulhauses 1877.

Die Groteske um das Wirten bei der Einweihungsfeier des Schulhauses belegt, dass die beiden Gasthofwirte in Otelfingen wenig zimperlich miteinander umgingen, wenn es um Marktanteile ging. Allzu locker dürfte ihre Existenz demnach nicht gewesen sein. So übernahm der Höfliwirt, Salomon Schlatter, 1876 zeitweise Aushub- und Strassenarbeiten für die Gemeinde und sein Nachfolger Johannes Wuhrmann erweiterte 1888 den Gasthof um eine Bäckerei. Salomon Schibli zum Neuhaus seinerseits war zusätzlich zu seiner Wirtstätigkeit immer noch in der Landwirtschaft tätig. Als infolge der neuen, beim Gasthof Höfli vorbeiführenden Strasse von Baden nach Buchs der Umsatz im Neuhaus sank, begehrte und erhielt der Neuhauswirt eine Reduzierung der Gebühr für die Erneuerung des Tavernenrechts.

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