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Otelfingen, Das Haus zur Brauerei. Ein Stück Wirtshaus- und Brauereigeschichte

7. Braureibetrieb II 1879-1917

23. Gesamtansicht der Bierbrauerei Schibli, Detail vom Firmenpapier, um 1900
Vielleicht gab dieser wegen der neuen Durchgangsachse unerwartete Standortnachteil des bisher diesbezüglich verwöhnten Gasthofes den Ausschlag, dass Salomon Schibli nach einem weiteren Standbein für seinen Betrieb suchte. Weil sein Sohn, Friedrich Salomon II Schibli (1857-1929), den Brauerberuf erlernte, war es naheliegend, die Idee einer eigenen Brauerei wieder aufzunehmen.
24. Umzeichnung mit Benennung der einzelnen Gebäude


Inzwischen war Bier zu einem Massengetränk geworden. Um die Nachfrage zu decken, waren 1883 allein im Kanton Zürich 33 Brauerein aktiv . Da Salomon Schibli die alte Produktionsstätte beim Pfarrhaus 1854 abgerissen hatte, richtete er nach Schoellhorn für seinen Sohn bereits 1873 im alten Speicher und dem damit verbundenen Waschhaus eine noch sehr einfache Brauerei mit einer Braupfanne mit 8hl Kapazität ein; als Gär- und Schankkeller diente der gewölbte Weinkeller unter dem Speicher. Im nun in Brauereianbau umgetauften Waschhaus wurde 1889 ein Brauofen samt Kessel neu versichert, der seinerseits bereits 1893 wieder durch ein Neugerät ersetzt wurde. Mit dem Wechsel dürfte immer auch eine Kapazitätssteigerung verbunden gewesen sein.

25. Eiskellergebäude von Süden, 2008
Als Erweiterung erbaute Salomon Schibli 1874 rechtwinklig zum alten Speicher ein neues Kellergebäude mit Schütte.

Im Ragionenbuch eingetragen wurde die neue Brauerei aber erst am 4. Oktober 1879, ein Jahr vor dem Tode des Salomon Schibli, unter dem Namen des Sohnes, Friedrich Salomon II Schibli, der mittlerweile volljährig und ausgebildeter Bierbrauer war. Der junge Schibli war einer jener für die Gründerzeit typischen dynamischen Unternehmer. Zusammen mit vorerst nur einem Lehrburschen und später einem zusätzlichen Brauburschen gelang es ihm, die Jahresproduktion von anfänglich 180hl auf 2800hl zu steigern, und das Bier im Bezirk Dielsdorf und im nahen Aargau, insbesondere in der Stadt Baden, zu verkaufen. In der Brauerei F. Schibli wurde dunkles und helles Bier von 12-13% B[ock] aus mährischem Malz und bayrischem Hopfen gebraut..

26. Werbeplakat der Bierbrauerei Schibli, um 1900/1910
Für das Marketing setzte Schibli auf die noch junge Plakatwerbung, deren Siegeszug im Bereich der Produktewerbung erst gegen Jahrhundertende richtig eingesetzt hatte. Sein Plakat im A3-Format, auf welchem zwei herausgeputzte Bübchen in Samtanzug und Rüschenhemd für sein Bier werben, erinnert im Stil stark an die Postkartenmaler um 1900/1910 und dürfte wohl auch in dieser Zeit entstanden sein. Zielgruppe der Werbung waren wohl nicht zuletzt Einwohner und Badegäste in Baden und insbesondere die Damen unter ihnen.

Daneben nutzte Schibli konsequent sein Firmenpapier mit der bildlichen Darstellung seines Betriebes im Briefkopf sowie Biergläser, Bierflaschen, Fässer und Lastwagen als Werbeträger für seine Bierbrauerei.

Zur Steigerung der Produktion und zur Qualitätsverbesserung investierte er stetig in neue Technologien, was häufige Um- oder Anbauten der bestehenden Produktionsstätten erforderte. Das Areal hinter dem Gasthof, der parallel weitergeführt wurde, war wohl eine Dauerbaustelle.

27. Bierflasche der Bierbrauerei Schibli mit eingepresstem Firmennamen, nach 1890
28. Bierglas der Bierbrauerei Schibli mit Gambrinus-Darstellung
Das neue Kellergebäude wurde 1887 zum Eiskeller mit einem gewölbten Lagerkeller ausgebaut, eine Bauphase, die 1890 abgeschlossen war. 1893 folgten ergänzend ein neuer Gärkeller und eine Kühlkammer. Der bisherige Gärkeller im Weinkeller unter dem alten Speicher wurde nun fürs Abfüllen verwendet.

Der Brauofen samt Kessel befand sich 1889 noch immer im «Brauereianbau» des alten Speichers, welcher 1898 durch einen neuen Schopf mit Kellereingang ergänzt wurde.

Im gleichen Jahr entstand das freistehende Maschinenhaus östlich des Eiskellergebäudes, das mit diesem durch ein durchgezogenes Dach verbunden war. Spätestens 1901 hatte darin eine neue, von einem 10 PS Elektromotor angetriebene «Eismaschine samt Kühleinrichtung» den Betrieb aufgenommen.

29. Einblick in den Maschinenraum mit der Eismaschine. Detail vom Firmenpapier, um 1900
Interessanterweise ist der Innenraum dieses Maschinenhauses auf dem Briefkopf der Bierbrauerei Schibli abgebildet. Gemäss Interpretation eines Brauereifachmannes ist links im Bild, an der Rückwand des Maschinenhauses eine Art Labor, die Betriebs- respektive Qualitätskontrolle, zu sehen, rechts davon, mit grossem Schwungrad und Transmissionsriemen, die elektrisch angetriebene Kühlmaschine. Im aufgeschnitten gezeigten anschliessenden Raum stehen die für den Kühlprozess benötigten Geräte. Die künstliche Kühlung beruht auf der Tatsache, dass Kälteflüssigkeiten, z.B. Ammoniak, schon bei niedrigen Temperaturen verdampfen und dass die dazu benötigte Wärme der Umgebung entzogen wird. Die Salzsole, in welcher die Verdampferrohre liegen, kühlt sich dabei unter 0 Grad ab. Die kalte Sole wird nun in den Gär- oder Lagerkeller [im nebenstehenden Eiskellergebäude] gepumpt, der dadurch gekühlt wird, während die Sole Wärme aufnimmt. Im Verdampfer wird diese Wärme wieder zum Verdampfen der Kälteflüssigkeit abgegeben. Die Wanne an der rechten Wand der Darstellung ist somit das Solebad, das gleichzeitig auch als Verdampfer wirkt. Weiter links an der Rückwand steht der Kompressor, der das Kältemittel ansaugt und verdichtet. Die aufgenommene Wärme wird schliesslich im Kondensator daneben abgegeben, wodurch sich das Kältemittel wieder verflüssigt.

Mit gebührendem Stolz zeigte die Bierbrauerei Schibli also auf ihrem Firmenpapier an, dass sie im Besitz der neuesten, für die Bierbrauerei eminent wichtigen Kühltechnologie unter Verwendung der Elektrizität war.

30. Friedrich Salomon II Schibli posiert mit der Abfüllmaschine vor dem Maschinenhaus, 1905
Das war keineswegs selbstverständlich. Nachdem nämlich die Gemeindeversammlung 1896 aus Kostengründen die Einführung der Elektrizität für die Strassenbeleuchtung vorerst abgelehnt hatte, liess Schibli 1897 auf eigene Kosten eine Freileitung vom Elektrizitätswerk in Dietikon über Würenlos in sein neues Maschinenhaus legen, eine ungeheure Investition in die damals neue Energie, die sich aber unmittelbar in einer erhöhten Produktionseffizienz und damit Konkurrenzfähigkeit niedergeschlagen haben dürfte. Als die Gemeinde 1903 die Strassenbeleuchtung dann doch realisierte, gehörte Schibli zu den ersten Abonnenten. Die Brauereieigene Leitung und die Transformatorenstation blieben aber weiterhin in Betrieb. Schibli musste für ihren Unterhalt aufkommen, solange er «separaten Strom» bezog, erhielt aber Miete von der Elektrizitätsgenossenschaft für die Mitnutzung der Transformatoren. Erst 1913 brach Schibli seine Transformatorenstation ab und erhielt im Gegenzug eine neue Kraftzuleitung vom öffentlichen Netz.

31. Schiblis Flaschenarbeiter in der Pause
Eine Vorreiterrolle spielte Friedrich Salomon II Schibli auch in Bezug auf die Einführung des Telefons. Bereits 1889 liess er eine private Telefonverbindung zwischen Baden und Otelfingen erstellen, über die er seinen Geschäftsverkehr mit Baden modern und effizient abwickeln konnte. Das ganze Dorf profitierte davon, indem Meldungen aus Baden an Otelfinger Einwohner in die Brauerei übermittelt wurden, von wo sie dann den Adressaten zugestellt wurden; das Postamt verfügte erst 1919 über eine Telefonzentrale.

Als um 1890 die Bierflaschen mit dem praktischen Bügelverschluss mit Porzellandeckel auf den Markt kamen und der Umsatz von Flaschenbier rasant wuchs, stieg auch Schibli ins Flaschengeschäft ein, um dieses Käufersegment ausserhalb der Wirtschaften erreichen zu können. Mit einer 1 PS-Motorpumpe liess er sein Bier in Flaschen mit vorerst sandgestrahltem, später reliefiertem Firmennamen abfüllen.

Da das alte Sudwerk mittlerweile zu wenig Kapazität hatte, wurde 1903 ein neues mit kupferner Braupfanne von 24hl eingerichtet. 1911 erstellte Schibli einen Sodbrunnen mit Pumpwerk, um den mit der wachsenden Produktionsmenge steigenden Wasserbedarf aus Quellen in der Geeren und im Oberdorf zu decken und um unabhängig von Trockenperioden zu sein.

1912 schaffte Friedrich Salomon II für die Biertransporte seinen ersten Lastwagen an, der das erste Auto überhaupt in Otelfingen war. Das Fahrzeug war ein Erzeugnis der Motorwagenfabrik Berna in Olten, wog 3500 kg, und verfügte über einen Vierzylindermotor und Holzräder mit Vollgummireifen. Die maximale Fahrgeschwindigkeit betrug 28-30 km/h.

32. Berna-Lastwagen der Bierbrauerei, das erste Auto in Otelfingen, 1912
Die wegen zunehmender Platzbedürfnisse der Bierproduktion aus ihren angestammten Räumen verdrängten übrigen Aufgaben verlegte Schibli in den Bereich der Kegelbahn, die 1905 aufgehoben wurde und durch eine Scheune mit Stall, Waschhaus und Schopf ersetzt wurde. Der neue Stall wurde benötigt für die Zugpferde, die für die Bier- und Eistransporte eingesetzt wurden. Zum Schopf unter dem Tanzsaal gesellten sich neu Schweineställe, in denen die Tiere bequem mit dem anfallenden Treber gefüttert werden konnten.

Damit war der Maximalausausbau des Brauereibetriebes erreicht. Die Zeiten änderten sich mit dem Ausbruch des ersten Weltkrieges 1914. Das Rohmaterial Hopfen und vor allem das Malz fehlte, der Bierkonsum ging generell zurück. Die Kleinbrauereien wurden zunehmend durch die leistungsfähigen und kapitalkräftigen Grossbrauereien bedrängt, die zur Sicherung ihres Bierabsatzes gegen Gratisabgabe der Schanktische Wirte unter Vertrag nehmen oder ganze Wirtschaften kaufen konnten.

Friedrich Salomon II Schibli entschloss sich, seine Produktion vorläufig einzustellen und bis auf weiteres für die Grossbrauerei Haldengut in Winterthur Bier zu vertreiben. 1917 ist die Bierbrauerei Friedrich Salomon II Schibli letztmals im Firmenverzeichnis des Kanton Zürich vermeldet. Es war ihr Ende, obwohl Schibli seine Produktionsstätte hoffnungsvoll noch eine ganze Weile startklar hielt. Fritz Schoellhorn, aus der Haldengut-Brauerdynastie und Kenner der Schweizer Brauereiszene, schrieb 1922 sozusagen als Nachruf darauf: «Die Brauerei des Herrn Friedrich Schibli in Otelfingen ist ein Beispiel dafür, wie auch eine Kleinbrauerei sich halten konnte, wenn das Geschäft mit Eifer, Sachkenntnis und Sparsamkeit betrieben wurde. Sie ist die einzige Kleinbrauerei im Kanton, die heute noch betriebsfähig ist»

Nach dem Tod von Friedrich Salomon II Schiblis (1929) und dem Abbruch des Braukessels samt Ofen (1930) war die Ära der Brauereibetriebes in Otelfingen jedoch definitiv vorbei.

33. Maschinenhaus der Bierbrauerei, zur Zeit des Bierdepots
Schiblis Sohn und Nachfolger Friedrich, selbst noch gelernter Bierbrauer, baute den Bier– zum Getränkevertrieb aus, der über drei Generationen bis 2000 fortbestand, und für den bis 1997 das alte Maschinenhaus den neuen Bedürfnissen entsprechend mehrmals um- und angebaut wurde. Die dortige Eismaschine aus der Brauereizeit wurde bis in die 60er Jahre betrieben und ist seither im Hochstudhaus eingelagert. Die für Industriearchäologen interessante Frage, was von den Produktionsmitteln in den anderen Räumen der ehemaligen Brauerei noch vorhanden ist, bleibt offen, da die Räume nicht besichtigt werden konnten.

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