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Otelfingen, Jelmoli Lager- und Bürohaus

4. Zu Rohns Architektur

11. Nordfassade Bürohaus, 2007
Der ausgeführte Bau weicht am augenfälligsten beim Bürohaus vom Projekt ab. Die umstrittene Höhe von 57,6 m wurde 1967 in der letzten Bauphase auf die heutigen fünf Geschosse und die Höhe von ca. 30m reduziert. Architekt Rohn, der das Hochhaus als «höchst willkommenen und notwendigen Vertikalakzent gegenüber dem langgestreckten, niedrigen Lagertrakt» bezeichnete, der «ein sehr wesentliches Element des Gesamtprojektes darstellte», stellte enttäuscht fest, dass mit dem Verzicht darauf «die baukörperliche Gestaltung» zerstört wurde. Ursache dafür waren aber nicht architektonische, sondern finanzielle Gründe; sie führten auch dazu, dass das freistehende Ladengebäude nicht realisiert wurde.

Die Enttäuschung Rohns dürfte umso grösser gewesen sein, als schon wenige Jahre vorher sein mit Otelfingen durchaus vergleichbares Projekt für die BBC an der Haselstrasse in Baden ebenfalls aus wirtschaftlichen Gründen nicht realisiert worden war; hier war ebenfalls ein grossflächiges, niedriges Speditionsgebäude mit einem über der Ecke aufgesetzten Bürohochhaus von 66 Metern Höhe geplant gewesen und auch hier lag die Baubewilligung bereits vor.

Das BBC-Projekt belegt, dass Rohn für die Erstellung von kombinierten Zweck- und Bürobauten mit grosser Baumasse schon Erfahrung hatte; als weiteres Beispiel aus seinem breiten Schaffen ist etwa die Aufzugsfabrik Schindler in Ebikon (1953-57) zu erwähnen, wo er den Verwaltungstrakt dem Produktionstrakt über dessen ganze Länge vorstellte und durch Treppentürme rhythmisierte, die in gewissem Sinne ein Vorläufer der Idee zu den offenen Treppen von Otelfingen sind.

Der übrige Baukomplex in Otelfingen entspricht in seinem Äusseren heute noch weitgehend dem ursprünglichen Konzept. Nur auf dem flachen Lagerhausdach wurden links und rechts an das Bürohaus anstossend 1981 und 1987 Erweiterungsbauten aufgestockt, die sowohl farblich wie formal das äussere Erscheinungsbild stören.

12. Fassadenflucht Lager- und Bürohaus, 2002
Da die Jelmoli SA in Otelfingen primär ein Lagerhaus und nicht einen Repräsentationsbau erstellen liess, hielt es die Bauherrschaft für «ausserordentlich wichtig [...], darauf hinzuweisen, dass bei der Projektierung, bei der Wahl der Bauart, bei der Wahl der Baumittel, bei der Wahl der technischen Geräte, Apparate, Maschinen und Anlagen [...], wir uns immer und jederzeit von den Gedanken der Wirtschaftlichkeit haben leiten lassen». Entsprechend versuchte Rohn, mit unverputzten Materialien wie Beton oder Backstein und offen montierten Installationen «aus zweckgebundenen technischen Anlagen einen technisch-belebten Gesamteindruck zu erreichen». Aufwendige Fassadenverkleidungen, bei Rohns Geschäftshäusern in der Regel üblich, unterblieben. Weniger aus finanziellen Gründen als wegen dem Zeitgewinn von ca. 1 Jahr wurden vorfabrizierte Bauelemente wie Brüstungen, Träger, Stützen, Pfetten und Rippenplatten eingesetzt.

Bei der Gestaltung der Lagerhausfassaden ging Rohn grundsätzlich von der Fläche aus, die er entsprechend ihrer Bedeutung und Sichtbarkeit durch zwei hohe, gegliederte oder nur einfache fortlaufende Fensterreihen auflockerte. Letzteres ist etwa bei der wenig einsichtigen Südseite oder der Ostseite, die als mögliche Bauerweiterungszone kaum gestaltet wurde, unschwer festzustellen.

Die Nordflanke des Lagerhauses aber wertete Rohn als Schauseite für den von Nordwesten herkommenden Besucher auf, der das im hinteren Drittel bündig aufgesetzte Prisma des Bürohauses mit seiner hier befindlichen Eingangspartie als kraftvolles Gegengewicht wahrnimmt; es hätte allerdings, wären die Pläne Rohns verwirklicht worden, noch viel eindrücklicher werden sollen.

Die lange Fläche der Lagerhausfassade löste Rohn durch zwei hohe Bänder mit endlos aneinandergereihten Fenstern auf, jedes in zehn Felder gegliedert. Das wechselnde Tageslicht bringt die Glasfenster und ihre Rasterung zu ganz unterschiedlicher kräftiger Wirkung, ebenso die repetitiven vertikalen Rahmenteile aus Aluminium. Weil der Rahmung keine tragende Funktion zukommt - diese übernehmen Betonpfeiler im Innern - unterbricht sie die endlose Reihung der Fenster nur wenig stärker als die Fensterraster. Die durchgezogenen Brüstungen aus vorgehängten Betonplatten zwischen den beiden Fensterreihen und als obere und untere Fassadenbegrenzung bilden dazu eine kompakte ruhige Horizontale.

13. Bürohaus v. Nordwest, 2007


Nur im Eingangsbereich zum Bürohaus wird die regelmässige Flucht der Lagerhausfassade unterbrochen. Abgegrenzt durch zwei seitliche Pfeiler wird die gläserne Eingangsfront durch drei weitere eingezogene Pfeiler gegliedert und aus der Fassadenfläche zurückgenommen. Diese Pfeiler werden durch das obere Geschoss durchgezogen und bilden dann in der Fortsetzung das Auflager des Bürohauses, dessen erstes Geschoss gleich wie die Eingangsfront hinter die Pfeiler zurückversetzt ist und eine Glasfront hat. Schattenwirkung und Transparenz des Glases bewirken, dass nicht primär das erste Bürohausgeschoss als solches wahrgenommen wird, sondern vor allem die Pfeiler, auf denen das darüber wieder auf die Ebene der Lagerhausfassade vorspringende Bürohaus zu ruhen scheint, ganz in der Art der Ständerbauten, die damals in Mode waren. Rohn erreicht so eine klare Trennung zwischen dem flachen, horizontal gelagerten Lagerhauses und der Vertikalität des Bürohauses, die an der Schnittstelle plastisch herausgearbeitet ist.

Die vier weiteren Geschosse des Bürobaus sind wieder bündig zur Fassadenfläche des Lagerhauses darunter. Als Ganzes bilden sie ein Prisma, dessen Aussenwände allseitig durch sich abwechselnde durchgehende Brüstungen aus Beton und gläserne Fensterbänder in schlanken Rahmen gegliedert sind, eine gleichmässige ruhige Anwendung der Rasterfassade, die sich bei Rohn immer wieder findet.

14. Treppentürme vor der Nordfront, 2007


Die bis auf den Eingangsbereich und den Übergang von Lager- zum Bürohaus ganz der Fläche verhaftete Nordfassade wird durch die behördlicherseits geforderten fünf Nottreppen auf bemerkenswert originelle Art rhythmisiert. Rohn zieht sie jeweils um einen schmalen, über die Höhe der Nordfassade hinausragenden Betonpfeiler hoch und verbindet sie mit Betonbrücken mit dem ersten Geschoss respektive dem Dach. Sie erhalten dadurch eine sehr stark plastische Wirkung, die entfernt an Skulpturen der Zürcher Konkreten, beispielsweise die von Carlo Vivarelli bei der Universität Zürich, erinnern.

Auch bei den Annexgebäuden sind hauptsächlich die dem Besucher zugewandten Fassaden stärker gestaltet. Beim Nebenbetriebsgebäude ist die monumental wirkende Nordseite, die durch ein leicht zurückversetztes, gerastertes vertikales Fensterband in zwei Betonflächen aufgebrochen ist, ein Motiv, das auf der Westseite des Kesselhauses variiert wird und bei Rohn in ähnlicher Art schon am Hochspannungslabor der BBC 1942/43 in Baden Anwendung fand ; eine horizontale, über die ganze Gebäudebreite durchgezogene Vordachplatte, unter der links und rechts vom Vertikalfenster je eine horizontale Fensterreihe liegt, bildet das Gegengewicht.

Bei der Gestaltung der Ost- und Westfassade des Nebenbetriebsgebäudes zieht Rohn im Erd- und ersten Obergeschoss die durchgehende Fensterfront hinter die Tragpfeiler zurück, um dann das zweite Obergeschoss wieder vorspringen zu lassen; deren Fensterreihe zwischen den Betonbrüstungen gleicht sich der Fassadenstruktur des Bürohauses an.

15. Nordfassade Nebenbetriebsgebäude, 2007


Rohns Jelmoli-Baukomplex in Otelfingen ist ein in mancher Hinsicht typisches Bauwerk für Roland Rohn. Er löste die nicht ganz einfache Aufgabe, die Vorgaben der Bauherrschaft an die Funktionalität zu erfüllen und eine zweckmässige und kostengünstige Form für die erforderliche grosse Baumasse und ihre durch die Arbeitsabläufe bedingte innere Struktur zu finden, die dennoch nicht der damals modernen Gestaltung und auch einer gemässigten Repräsentanz entbehrt. Durchaus im Sinne der regierungsrätlichen Baubewilligung gelungen ist die Einbindung des Baukolosses in die Landschaft, ein Anliegen, dem Rohn immer gerecht zu werden versuchte. In der Tat wird die ganze Dimension des Baues erst von der Höhe aus erkennbar.

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