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Otelfingen, Altes Schul- und Gemeindehaus

4. Rechnen gehörte in Otelfingen nicht zum Lehrstoff

Der Unterricht war rein mechanisch und sehr einseitig. Lehrstoff waren fast ausschliesslich fromme Texte in verschiedenen Schwierigkeitsgraden. Die Schüler waren nicht nach ihrem Alter in Klassen zusammengefasst, sondern nach dem Stand ihrer Kenntnisse im Buchstabieren, Lesen und Auswendiglernen dieser Lehrstoffe. Entsprechend ihren Fähigkeiten und Ausdauer gab es Schüler, die in einem Winter buchstabieren lernten und dann aufrückten, während andere 2-3 Winter dazu benötigten und auf ihrer Stufe stehen blieben. Der Otelfinger Schulmeister betreute so insgesamt sieben "Leistungsklassen", angefangen bei denen, "die noch lehrnen die Buchstaben erkennen", gefolgt von jenen, welche "noch das Nammbüchli" haben, und schliesslich jene, "so im kleinen oder grossen Lehrmeister buchstabieren". Gelesen werden durfte erst in den oberen Klassen: Zuerst der "Lehrmeister", dann die "Zeugnuss", das Psalmbuch und die Testamente. Zwar sassen gleichviel Mädchen wie Buben in der Schule, doch wurden Mädchen in gewissen Bereichen offensichtlich weniger gefördert als die Buben. "Aber nicht alle Kinder lehrnen Geschriebenes lesen, sondern meistens nur die Knaben". Geübt wurde das Lesen von Handschriften anhand alten Predigten, amtlichen Befehlen, Gerichtsurteilen, alten Haus-und Geldbriefen.

Ein besonderes Gewicht kam dem Auswendiglernen zu, vorab des Katechismus, der Psalmen, Gebete, Lieder und Bibelgeschichten . Bei einer Zahl von 59 Schülern war von einer individuellen Förderung durch den Lehrer nicht zu reden; die Schüler waren weitgehend auf sich selbst gestellt, und da war es von Vorteil, wenn die Eltern ihre Kinder "bey Hauss zum Bätten und Lehrnen" anhielten, was, wie der Pfarrer beklagte," vil aber versäumen". Hauptsächliche Motivation für das Fortkommen der Schüler in der Schule war wohl oft der Überdruss, denn "ab dem Buchstabieren eklet es den meisten, sie möchten alle gerne geschwind zum Lesen gelassen werden, vielen gefiehle das Schreiben am liebsten, wann man ihnen es zuliesse". Doch man liess es nicht immer zu, denn um schreiben lernen zu dürfen, musste ein Schüler perfekt lesen können und diese Hürde nahmen zwar praktisch alle Buben, nicht jedoch alle Mädchen, bei denen das wohl auch nicht so nötig erachtet wurde.

Rechnen gehörte in Otelfingen nicht zum Lehrstoff, aus dem einfachen Grund, weil der Lehrer selbst nicht rechnen konnte; auch die andern Lehrer im Schulkreis beherrschten das Rechnen nicht. Nur gerade einer der Otelfinger Vorsinger hatte Rechenkenntnisse, und diesem fiel die Aufgabe zu, "in Abredestunde denen die Lust darzu haben, Informationen" zu geben. Weil das Rechnen nicht unterrichtet wurde, "hat schon mancher Haussvatter eben um des Rechnens willen seinen Sohn in andere Schulen geschickt gen Steinmaur, Dielstorff, Bülach, an die Oberstrass.", wo es offenbar Lehrer gab, die diese Kunst beherrschten. Der Pfarrer merkte kritisch an, "wenn man in der Haubtschul oder besser in bestimmten Nebenstunden könnte rechnenlehrnen, so würde es gläublich alle Bauern Söhn lehrnen, weilen diesse Kunst zu ihrer Aconici und Gwerb sehr nöthig wäre".

In der Tat war es privater Initiative überlassen, sich über den schmalen Schulstoff hinaus weiterzubilden und trotzdem "sind auch in der Gemeind Ottelfingen deren, die durch ihren Fleiss in der Erkantnus es zimlich weit gebracht, wie nicht weniger im Singen, in Künsten und Sprachen z.ex. der französischen und unter anderem einer der im Stand ist, lateinische Autores zu lesen. ". Es war aber doch nur eine Minderheit, in einem 1785 verfassten Bericht von Pfarrer Nüscheler über die Gemeinde Otelfingen wird denn auch der allgemein geringe Wissensstand der Bevölkerung kritisiert: "obgleich (...) einige sich um nützliche Kenntnisse bemühen, so ist das doch sehr rar, und man muss überhaubt von hiesigen Leuthen sagen, dass sie sich mehr um die Äufnung ihrer Güter als ihres Verstandes bemühen.- Weitaus die meisten beschäftigen sich einzig mit ihrem Güterbau, und sehen Lesen, Nachdenken etc. als eine Sach an, die gar nicht für sie gehöre". Verwunderlich war dies allerdings nicht, war doch die Schule nicht auf eigenständiges Denken hin angelegt.

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