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Otelfingen, Altes Schul- und Gemeindehaus

6. Aufbruch der Schule

Einen radikal neuen Denkansatz zum Thema Schule brachte die Helvetik (1798-1803). Basierend auf den Ideen der französischen Revolution, wurde neu allen Bürgern politische Gleichberechtigung und Ämterzutritt eingeräumt. Dazu brauchte der Staat nicht mehr die braven und gehorsamen Untertanen, die das bisherige Schulsystem vor allem hervorgebracht hatte, sondern selbständig denkende Bürger, die eine ausreichende Ausbildung zur Wahrnehmung ihrer neuen Rechte und zur Existenzsicherung hatten. Die Schule wurde als eine der wichtigen Aufgaben des Staates definiert und entsprechend ein Ministerium für Künste und Wissenschaften geschaffen. Dessen Vorsteher, Philipp Albert Stapfer von Brugg, legte bereits 1798 einen Gesetzesentwurf über die Volks-und Elementarschulen vor. Er sah eine völlige Loslösung der Schule von der Kirche vor und schuf als Nachfolge des Examinatorenkonvents einen 9-köpfigen Erziehungsrat. Gemäss den neuen pädagogischen Grundsätzen sollten die Schüler in Klassen eingeteilt und die Realien in die Unterrichtsfächer aufgenommen werden. Die erfolgreichen Schulabsolventen sollten einen Studienbrief erhalten, den sie bei Bewerbung um staatliche Stellen vorweisen könnten. Stapfer schlug sogar vor, die Ausübung politischer Rechte von einem solchen Studienbrief abhängig zu machen. Der Primarschulunterricht sollte, zumindest in grösseren Gemeinden, massiv ausgebaut werden und um die Fächer Geometrie, Feldmessen, Zeichnen, die in Helvetien üblichen Sprachen, Land-und Hauswirtschaft, Berufskunde, Buchführung, Belehrungen über die Verrichtungen des menschlichen Körpers und Gesundheitslehre ergänzt werden. Eine grosszügige Stipendienordnung sollte die Ausbildung auch weniger betuchter Kinder fördern. Das visionäre und ungemein modern anmutende Konzept Stapfers scheiterte an den chronischen Geldnöten, in denen der helvetische Staat wegen der Abschaffung der Zehnten steckte, an der Obstruktion der alten Obrigkeit, die ihre Vorrechte retten wollte, und nicht zuletzt auch an der mangelnden Akzeptanz durch die Landbevölkerung selbst.

In der Zeit der Mediation und der Restauration wurden die alten Zustände weitgehend wiederhergestellt. Der aus der Helvetik hinübergerettete Erziehungsrat versuchte zwar mit den geringen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln den Ausbau der Schule in den Gemeinden zu unterstützen. Es ist wohl kein Zufall, dass sich wie Otelfingen auch auffällig viele andere zürcherischen Gemeinden in den ersten drei Jahrzehnten des neuen Jahrhunderts zu einem Schulbau entschlossen. Die Schulinhalte und Stoffvermittlung verharrten jedoch auf tiefem Niveau.

Die Schule in Otelfingen hatte von den neuen Ideen der Helvetik wohl wenig gespürt. Schulmeister Hans Meyer war 1808 immer noch im Amt und stellte das Gesuch, seinen Sohn als Adjunkten einstellen zu dürfen. Trotz seiner mageren Existenz wollte er also seinen Sohn als Schulmeister anlernen, eine eigentliche Lehrerbildung gab es ja noch nicht. Der Schulinspektor erhielt den Auftrag, "den jungen Mann der gehörigen Prüfung zu unterwerfen und den Erfolg üblichermassen einzuberichten". Mit der Auflage, seine Lehrkenntnisse zu verbessern, wurde Johannes Meyer 1809 als Gehilfe eingestellt 1825 wurde er als Nachfolger seines Vaters gewählt und blieb bis 1835 Schulmeister in Otelfingen. In seine Amtsperiode fiel 1832 die Ablösung des überlebten alten Schulsystems durch Annahme des neuen züricherischen Volkschulgesetzes, dem in Otelfingen alle anwesenden 216 von insgesamt 242 Bürger zustimmten. Dieses "Gesetz über die Organisation des gesammten Unterrichtswesen im Canton Zürich" führte zum Aufbau einer weit über die Grenzen ausstrahlenden liberalen Volksschule, die jedem Kind kostenlos Zugang zu allem Wissen vermittelten sollte, das zur Ausübung der bürgerlichen Rechte und Pflichten und zur Berufswahl notwendig war. Bereits war auch eine höhere Volksschule, die Sekundarschule, im Gesetz vorgesehen. Die Basis für das heutige Schulwesen war damit gelegt.

Erika Feier Erni


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