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Otelfingen, Altes Schul- und Gemeindehaus

2. Der Schulneubau von 1819/20

1. Schulhaus, im Jahr 1909
Bereits 1819 dürfte das fast zweihundertjährige alte Schulhaus schon recht baufällig gewesen sein, und das Angebot von Schulverwalter Schibli, sein Land gratis für ein neues Schulhaus zur Verfügung stellen, wenn er im Gegenzug darin einen geräumigen Keller erhielte, wurde angenommen; der Schulneubau wurde unverzüglich realisiert und kostete , ohne Baumaterial und Fronarbeiten, 2000 fl. Die Idee für eine Nutzungsteilung schaute man wohl den Boppelsern ab. Diese schlugen nämlich dem Erziehungsrat zur Finanzierung ihres 1817 erbauten Schulbaus unter anderem "die Anlegung eines dem Gebäude gleich grossen Kellers, von dessen Benützung in die Schulkasse ein Zins abfliessen soll", vor. Allerdings untersagte ihnen der Erziehungsrat die geplante Verwendung des Kellers als Weinhandlung wegen "für die Schule und die Gemeinde verdriesslicher Folgen", liess aber die Vermietung für einen "die der Schule nöthige Stille und den Anstand nicht verletzenden Gebrauch" zu.. In der Folge wurde Schulhauskeller wie derjenige in Otelfingen für die Lagerung von Feldfrüchten benützt.

Das Otelfinger Schulhaus von 1819/20 ist wie die benachbarten Bauernhäuser ein Fachwerkbau und wie diese giebelständig ausgerichtet Die Schule hatte ihren Eingang auf der Nordseite, während das grosse, auf die Hinterdorfstrasse sich öffnende Portal den Zugang zum Keller bildete. Wegen des hohen Kellers lag die Schulstube, deren Grösse praktisch der 108m2 messenden Grundfläche des Hauses entsprach, im Hochparterre; sie war erreichbar über einen kleinen Vorraum, in den eine hölzerne Treppe führte. An die Westseite fügte sich der übliche Holzanbau mit Pultdach für den Abort an. Das Dachgeschoss war nur über eine Kipptreppe zugänglich und diente als Abstellraum, in das die Lehrer gelegentlich auch ungebärdige Schüler einsperrten.

2. Der alte Kachelofen
Das Innere ist in den Erinnerungen von Johannes Oscar Wyss, der 1846 in Otelfingen eingeschult wurde, höchst anschaulich beschrieben. Die Schulstube empfand er als etwas niedrig, aber mit ihrer dreiseitigen Befensterung hell und freundlich. Fensterrahmen und Holzwerk waren damals braun gestrichen. An der Ostwand, gegenüber dem Eingang, befand sich die grosse Wandtafel. Für deren Bedienung stand ein dreistufiger Treppenschemel bereit, der auch als "Schandbänkli" für ungehorsame Schüler herhalten musste. Zwei Reihen langer Bänke für die ca. 60 Schüler und Wandkästen links zwischen den Fenstern und neben dem Eingang ergänzten die Ausstattung. Im nach heutigen Begriffen hoffnungslos überfüllten Schulzimmer herrschte im wahrsten Sinn des Wortes dicke Luft. Wyss kann sich "nicht besinnen, je in unserer Schulstube ein Fenster geöffnet gesehen zu haben". Etwas Luftzufuhr verschafften bisweilen zwei bemerkenswert einfach konstruierte "Ventilatoren". Jeweils am Samstag hatten die Schüler der oberen Klassen die Schule zu putzen; im Winter waren sie es, die das Brennholz im 200 m entfernten alten Schulhaus holen mussten. Beheizt wurde die Schulstube durch einen gewaltigen grünen Kachelofen rechts vom Eingang, der vom Vorraum her eingefeuert wurde. Effektiv war er zu gross ausgefallen und erforderte "ungebührlich" viel Holz. 1856 offerierte deshalb Maurer Jakob von Rüti einen zweckmässigen und holzsparenden Zylinderofen für Fr. 170.- und Rücknahme des alten Ofens. Das Geschäft wurde zurückgestellt, weil es auch Stimmen gab, die "aus dem alten Ofen einen neuen herzustellen" empfahlen; sie setzten sich offenbar durch, denn 1861 wurde einmütig entschieden, den Kachelofen in einen "für die Heizung zweckmässigeren umändern zu lassen".

Das Schulwesen wandelte sich und mit ihr die Anforderungen an das Schulhaus. Als 1861 die Erziehungsdirektion Bestimmungen über "Leibesübungen" erliess, musste ein Turnplatz her. Der Gemeinderat schlug dafür den Platz "beim alten Schulhaus hinter dem gegenwärtigen" vor. Dieser Platz wurde in der Folge mit 2 Recken und 3 Barren und einer Gartenleiter ausgestattet. Das Holz ging zu Lasten der Gemeinde, den Rest trugen die beiden Schulpflegen, denn neuerdings gab es in Otelfingen auch eine Sekundarschule und ihre Schüler sollten den neuen Turnplatz mitbenutzen können. Die Sekundarschule war vorläufig im Restaurant Neuhaus untergebracht, und dieses Provisorium sollte möglichst rasch durch einen Schulhausneubau abgelöst werden, unter dessen Dach alle schulischen Aktivitäten zusammengefasst werden konnten.

1877 war es dann so weit. Die Primarschule zog aus dem Schulhaus an der Hinterdorfstrasse aus und bezog zusammen mit der Sekundarschule den Neubau an der Vorderdorfstrasse.

3. Grundriss der alten Kanzlei
Das nunmehr alte Schulhaus von 1819/20 diente nun als "Gemeindezimmer", nach einem Verweis seitens der Rechnungsprüfungskommission übernahm die Gemeinde 1880 die Unterhaltskosten, die bis anhin immer noch der Schule belastet worden waren. 1894 schliesslich kaufte die Gemeinde das Haus für Fr. 3400.-von der Schulgemeinde und weil diese für diese Transaktion keine Genehmigung eingeholt hatte, wurde sie 1895 vom Bezirksrat gerügt

Doch das ehemalige Schulhaus von 1819/20 sollte nochmals seine ursprüngliche Funktion erfüllen. Weil das neue Schulhaus von 1877 bereits 1909 wieder aus allen Nähten platzte, schlug die Bezirkschulpflege vor, die Primarschule zu teilen und die unteren Klassen wieder im alten Schulhaus unterzubringen, Die Otelfinger Schulpflege war zuerst dagegen, denn "das letztere gehört nämlich gegenwärtig der Einwohnergemeinde, dient anderen Zwecken , könnte aus hygienischen und finanziellen Gründen gar nicht in Frage kommen", zudem lastete die Bauschuld noch schwer auf der Gemeinde. 1910 gab sie klein bei und hat "als Provisorium für die Unterbringung der Elementarabteilung das alte Schulhaus in recht hübscher Weise eingerichtet."

Nicht nur Otelfingen, auch die Nachbargemeinden wuchsen und erneut war ein neues Schulhaus nötig, diesmal für die Sekundarschule Otelfingen/Boppelsen/Hüttikon/Dänikon. 1929 bezog sie ihr erstes eigenes Schulhaus an der Bühlstrasse. Die geteilte Primarschule wurde wiedervereinigt und übernahm nach dem Auszug der Sekundarschule das Schulhaus von 1877 ganz. Das alte Schulhäuschen von 1819/20 an der Hinterdorfstrasse hörte definitiv auf , Schulhaus zu sein. Vorübergehend wurde es als Malerwerkstatt und für militärische Zwecke genutzt.

1942 beantragte der Gemeinderat einen Kredit von Fr. 9000.- für Renovation und Umbau der ehemaligen Schulstube in eine Gemeindekanzlei mit Büro, Sitzungszimmer und Gemeindearchiv. Der grosse Kachelofen wurde belassen, aber nur bei grösseren Anlässen noch eingeheizt, denn das Büro des Gemeindeschreibers verfügte über einen kleinen Holzofen, der 1959 durch einen Oelofen ersetzt wurde. Das Dachgeschoss wurde von der Ortswehr als Gewehrdepot genutzt.

1960 wurden Büro und Sitzungszimmer renoviert und die Schalteranlage entsprechend der wachsenden Bevölkerung vergrössert. 1966 erfolgte eine Gesamtrenovation des Äusseren .

Als die Primarschule 1974 in ihr mittlerweile viertes Schulhaus an der Bühlstrasse umzog, beanspruchte die Gemeindeverwaltung das grosse Schulhaus von 1877 für sich und verliess das eng gewordene alte Schulhaus, respektive das alte Gemeindehaus. Auf der Suche nach einem neuen Zweck diente dieses vorübergehend bis 1992 als Freizeitfotoatelier und danach dem Krankenpflegeverein als Magazin.

4. Ochsenauge von innen
1994 beschloss die Gemeindeversammlung den Verkauf des Hauses, dessen Zustand mittlerweile eher schlecht war, an einen der damals drei Besitzer des Kellers. Dieser liess das Haus durch Architekt Giampiero a Marca, Zürich, und Häfele Bauleitungen AG, Otelfingen, gemäss den Auflagen der Denkmalpflege zum reizvollen Wohnhäuschen umbauen. Während im Innern die ganze Tragkonstruktion erneuert und die Raumaufteilung und -ausstattung dem neuen Zweck als Kleinwohnhaus angepasst wurde, wobei auch der schöne, aber von Anbeginn problematische Kachelofen geopfert wurde, veränderte sich das Äussere wenig: Die paarweise angeordneten Dachfenster, die durch den Ausbau des Dachgeschosses notwendig wurden, sind als Ochsenaugen gebildet und den Dimensionen des Daches perfekt angepasst.

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